Rede Dr. Ingrid Wölk,
Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte

Sehr geehrter Herr Zimmer, meine Damen und Herren,

Herzlich willkommen im Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte und zur Eröffnung der Ausstellung „Schicksalsort Gefängnis. Opfer der NS-Justiz in der Krümmede“.

 Zwischen 1933 und 45 durchzog eine Vielzahl von Haftstätten das Deutsche Reich: Konzentrationslager samt den ihnen zugeordneten ca. 1.000 Außenlagern, Zwangsarbeiterlager, Arbeitserziehungslager, spezielle Lager für Sinti und Roma und natürlich Gefängnisse. Nach Kriegsbeginn kamen die Konzentrations-, Vernichtungs- und andere Lager in den besetzten Ländern hinzu.
Im Unterschied zu den Konzentrationslagern waren die Gefängnisse keine ‚Erfindung‘ der Nationalsozialisten. Sie existierten schon vor 1933. Im System des NS-Terrors kam ihnen zentrale Bedeutung zu. Dabei unterscheiden wir zwischen den Gefängnissen der Polizei, sei es der Ordnungs- oder der geheimen Staatspolizei, und der Justiz. Die Polizeigefängnisse dienten neben den Konzentrationslagern der Repression der politischen Gegner des NS.
Mit der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28.02.1933 wurde die sogenannte Schutzhaft eingerichtet. Damit konnten Regimegegner auf unbestimmte Zeit – und ohne Urteil – inhaftiert werden. Ins Visier der Nationalsozialisten gerieten zunächst Kommunisten, dann Sozialdemokraten, Gewerkschafter und die Mitglieder von Widerstandsorganisationen, bald auch andere Gruppen, wie Zeugen Jehovas oder Vertreter der christlichen Kirchen, denen tatsächliche oder angebliche Widerstandshandlungen vorgeworfen wurden. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs stieg die Zahl der sogenannten Schutzhäftlinge deutlich an. Auch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert, meistens aber in die „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo eingewiesen.
Auf die Einweisung jüdischer Männer in die Konzentrationslager auf deutschem Boden nach dem Novemberpogrom 1938 und natürlich die Deportation der Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager in Osteuropa nach der Wannseekonferenz muss hingewiesen werden, ohne dies näher ausführen zu können. Der rassistisch bedingte Massenmord an den europäischen Juden – und auch von Sinti und Roma – ist hinlänglich erforscht.

Die Vollzugsanstalten der Justiz in der NS-Zeit dagegen waren lange Zeit kein Gegenstand historischer Forschung. Ging man doch davon aus, die Juristen hätten Recht gesprochen, unabhängig von dem Regime, das gerade an der Macht war und die Gefangenen hätten zu Recht dort gesessen. Sicher trug die bahnbrechende Arbeit von Nicolaus Wachsmann von 2004, Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, entscheidend dazu bei, den bis dahin „weißen Fleck“ mit Inhalt zu füllen.

Die Justizanstalten wurden nach 1933 Teil des NS-Terrorapparates. Zwischen 1933 und 1945 waren mehrere Millionen Menschen in den Gefängnissen der Justiz inhaftiert, darunter zahlreiche „Kriminelle“, aber auch Menschen, die aus politischen Gründen einsaßen. Im Unterschied zu den Gefangenen der Polizei war ihrer Haft eine gerichtliche Verurteilung voraus gegangen oder sie stand – im Falle der Untersuchungshäftlinge – noch aus.
Mit Kriegsbeginn wurden immer mehr Ausländer in deutsche Justizgefängnisse eingewiesen, zunächst in großer Zahl polnische Strafgefangene. Ab 1942 kamen die sogenannten Nacht- und Nebel-Gefangenen aus den besetzten westeuropäischen Ländern hinzu. Es waren Franzosen, Belgier, Niederländer und andere, die als Widerstandskämpfer und zur Einschüchterung der Zivilbevölkerung ins Deutsche Reich verschleppt worden waren und – mit oder ohne Prozess – in Lagern und Gefängnissen verschwanden.
Die JVA Bochum war fest in das nationalsozialistische System eingebunden. In der „Krümmede“ und ihren vier Außenkommandos, in Langendreer, Dahlhausen, Hattingen und der Zeche Constantin, saßen Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrumspolitiker, Homosexuelle, Geistliche, in erster Linie katholische, und auch zahlreiche Nacht- und Nebel-Gefangene ein. Vor allem in den Außenkommandos verrichteten sie Zwangsarbeit. Viele starben in der Haft – sei es in der „Krümmede“ in Bochum, in anderen Gefängnissen oder in Konzentrationslagern, sei es an Entkräftung, aufgrund von Misshandlungen oder durch Hinrichtungen. Wer überlebte, litt lebenslang an den Haftfolgen.

Die Übergänge zwischen den Gefängnissen der Justiz und der Polizei waren fließend. So war es wohl an der Tagesordnung, dass die Polizei von der Justiz entlassene Untersuchungsgefangene in ihre Gefängnisse ‚übernahm‘. Auch in Bochum, wo enge Kontakte zwischen der Leitung der JVA und der Gestapo bestanden. In der Kriegsendphase geriet ein Teil der in der „Krümmede“ einsitzenden Gefangenen, die schon auf ihre Befreiung hofften, in große Gefahr, der Gestapo übergeben zu werden, was ihre Hinrichtung bedeutet hätte. Angesichts der sich nahenden Front hatte der Generalstaatsanwalt in Hamm Anfang 1945 die Aufteilung der Gefangenen in drei Gruppen verfügt: Alle „leichteren“ Fälle standen zur Entlassung an, die besonders „schweren“ Fälle sollten der Gestapo überstellt und die ‚dazwischen‘ in Marsch gesetzt werden, um sie in anderen Gefängnissen vor den alliierten Truppen in ‚Sicherheit‘ zu bringen. Zur Übergabe von Justizgefangenen an die Gestapo kam es in Bochum nicht mehr. Doch die berüchtigten Evakuierungsmärsche fanden im März 1945 statt. Sie erreichten ihre jeweiligen Ziele nicht. Ein Großteil der Gefangenen, die bis dahin überlebt hatten, wurde ins Bochumer Gefängnis zurückgetrieben, wo sie von den Alliierten befreit wurden.

Wer waren die Menschen, die in Bochum als politische Häftlinge in der „Krümmede“ einsaßen, manche für längere Zeit, andere nur sehr kurz und sozusagen auf der ‚Durchreise‘? Ihnen ein Gesicht zu geben, ihre Geschichte ans Licht zu bringen, ist das Anliegen von Alfons Zimmer, der seit 24 Jahren als Pastoralreferent in den Bochumer Strafvollzugsanstalten arbeitet. Bisher hat er die Namen von über 160 Menschen zusammengetragen. Wie es dazu kam und wie er dabei vorgegangen ist, schildert er selbst. Alfons Zimmer gebührt Dank und große Anerkennung für seine Arbeit!
60 Gesichter von politischen Gefangenen in der Bochumer „Krümmede“ 1933 bis 1945 werden nun im Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte gezeigt, die Verfolgungsgeschichten dieser 60 exemplarisch vorgestellt. Sie passen gut in ein Haus, zu dessen Schwerpunkten seit vielen Jahren die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit gehört.

Um die biografisch angelegte Ausstellung in den historischen Kontext einbetten zu können, bietet das Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte in Kooperation mit der Dokumentations- und Forschungsstelle Justiz und Nationalsozialismus NRW in der Justizakademie NRW im Herbst/Winter 2016/17 eine Vortragsreihe an: „Justiz und Polizei im ‚Dritten Reich‘. Das Beispiel Bochum“. Näheres zeitnah unter www.bochum.de/stadtarchiv.

 Ich wünsche der Ausstellung „Schicksalsort Gefängnis. Opfer der NS-Justiz in der Krümmede“ viele interessierte Besucherinnen und Besucher.

Ingrid Wölk, Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte