Aufzeichnungen von Pfarrer Josef Reuland (nachträgliches „Tagebuch“)

DURCH NACHT ZUM LICHT
Drei Jahre als Priester im Zuchthaus der Nazidiktatur

 

     Zum Geleit

  1. Haussuchung und Verhaftung durch die Gestapo
  2. Meine zweite Verhaftung 
  3. Vor dem Volksgericht 
  4. Im Zuchthaus in Werl 
  5. Im Zuchthaus in Münster 
  6. Im Gefängnis in Bochum und Essen 
  7. Wieder zurück nach Bochum
  8. Der Genickschuß  
  9. Wieder im Gefängnis in Bochum 
10. "Einmal kommt doch die Erlösung" 
11. Im St. Josefs-Hospital in Bochum
12. Entlassung aus der Strafhaft und Heimreise
13. Bibel und Messbuch
14. Nachwort
15. Nachspiel 

Anlagen

1. Programm der Nationalen Reichskirche Deutschlands 
2. Urteil des Volksgerichtshofes
3. Zellenkarte aus dem Zuchthaus in Werl u. Münster 
4. Befehl des brit. Kommandanten zur Entlassung aus dem Gefängnis 
5. Andenken an das silberne Priesterjubiläum 
6. Gutachten des kriminaltechnischen Instituts in Hamburg über das Einschußloch in der Sträfflingsjacke

"Ich will dich preisen, Herr; denn du hast mich beschirmt; hast meine Feinde sich nicht freuen lassen über mich. 0 Herr, mein Gott, ich rief zu dir; du hast mich gerettet"1 (Ps 29, 1,2)

"Er hat dem Tode mich entrissen; so darf ich wieder wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen".(Ps 114, 8,9)

ZUM GELEIT - Oben

Dem hl.Josef
meinem Namenspatron,
seien diese Blätter in Dankbarkeit gewidmet.

In der schwersten Stunde meines Lebens, am jenem Abend des Gründonnerstag, hat er mir so sichtbar zur Seite gestanden, daß ich darüber nicht schweigen kann.

Noch mehr. Am Oktavtag des Schutzfestes vom hl. Josef wurde ich gegen alles Erwarten aus dem Gefängnis herausgeholt und ins St, Josefs-Hospital in Bochum gebracht. An einem Josefsaltar konnte ich nach fast dreijähriger Unterbrechung wieder die erste hl. Messe halten.

Es ist wahr: "Der hl. Josef hat eine übergroße Macht bei Gott" (Bernardin von Siena) "Er ist Helfer in jeder Not". (St.Thomas) In der Messe vom Schutzfest spricht Josef zu uns: "In jeder Not, in der sie zu mir rufen, will ich sie erhören, immer will ich ihr Schutzherr sein". Und unsere Antwort: "Josef, laß uns schuldlos durch das Leben gehen; immer sei es sicher unter deinem Schutz".

"GEHET ZU JOSEF"

Greimerath, am Fest des hl. Josef,
19. März 1946
Josef R e u 1 a n d, Pfr.

1. Haussuchung und Verhaftung durch die Gestapo. Oben

Im 2. Februar 1942 um die Mittagsstunde klopfte es heftig an meine Tür. Noch ehe ich hereingerufen hatte, stürzten 2 Mann ins Zimmer und schrieen mir den Hitlergruss ins Gesicht. Es waren zwei von der Gestapo. Sofort begannen sie mit der Haussuchung; und zwar suchten sie nach den "Programmpunkten der Nationalen Reichskirche Deutschlands", kurz 30 Punkte genannt; ferner nach den Predigten des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, nach dem Möldersbrief- auch nach dem letzten Hirtenbrief. Die Haussuchung war gründlich, besonders in meinem Arbeitszimmer, verlief aber ergebnislos. Ich wurde am gleichen Tage wegen "Verbreitung staatsfeindlicher Schriften", nämlich der eben genannten"30 Punkte" verhaftet.

Diese "30 Punkte" waren nicht der einzige Grund für meine Verhaftung. In Greimerath kam die NSDAP nicht hoch; wenigstens nicht so, wie es der Wunsch und ausdrückliche Befehl des Kreisleiters war. Die Schuld daran gab man dem Pastor; darum mußte etwas gegen ihn unternommen und er nach Möglichkeit ausgeschaltet werden. Auch machte die Gestapo mir meine tolerante Haltung gegen die Juden hier am Ort sehr zum Vorwurf.

Diese meine Verhaftung löste große Erregung und eine Kundgebung der ganzen Pfarrei, die sich vor dem Pfarrhaus versammelt hatte, gegen die Gestapo aus. So sehr imponierte diese Kundgebung der Gestapo, daß sie mir sagte: "Das haben Sie meisterhaft organisiert". Ich wußte aber nichts davon; nichts war organisiert; es war der spontane Wille des Volkes. "Sie werden dafür büßen" knirschten sie. "Und Sie selbst werden dafür Zeuge sein" gab ich zur Antwort , "daß ich mein Zimmer während der Haussuchung nicht verlassen habe und darum auch nichts organisieren konnte; was Sie heute hier gesehen haben, war der wirkliche Wille des Volkes". Ich sollte dafür büßen mehr als ich ahnen konnte. Zur Ehre von Greimerath sei es gesagt, in all den Jahren hat keiner aus der Pfarrei die Rolle eines Verräters gespielt; auch nicht in Zusammenhang mit meiner Verhaftung.

Bei der Haussuchung fand die Gestapo einen Geldbetrag von 850.- RM. Daraufhin stellte sie beim Sondergericht Koblenz einen Strafantrag wegen "Geldhortung". Soviel Geld dürfe ich nicht im Hause haben; alles Geld müsse der Wirtschaft zugeführt werden.

Das Sondergericht wies den Strafantrag zurück. Darauf stellte die Gestapo einen neuen Strafantrag und zwar beim Amtsgericht in Trier. auch das Amtsgericht konnte keinen Verstoß gegen ein Gesetz feststellen und wies die Klage ab. Auf meinem Schreibtisch lagen Briefe die Soldaten aus meiner Pfarrei mir geschrieben hatten. Das nahm die Gestapo zum Anlass, um gegen mich Anklage beim Kriegsgericht zu erheben. Sie sah darin einen Verstoß gegen eine Kriegsverordnung vom 27.10.39, nach der es verboten war, Adressen von Soldaten zu sammeln; sie erklärten kategorisch, ich dürfe keinem Soldaten, auch nicht den Soldaten aus der Pfarrei schreiben. Auch, wegen 10 Päckchen Weihnachtskerzen, die ich vom Vorjahr aufgehoben hatte, wollten sie beim Sondergericht Anzeige erstatten; denn Kerzen seien kriegswirtschaftliches Material, das der Wehrmacht zugeführt werden müsse. Geld und Kerzen beschlagnahmten sie. Endlich behauptete die Gestapo ohne jeden Grund, ich hätte Auslandssender gehört; leugnen habe keinen Zweck; ich solle es ohne weiteres zugeben. Weil ich mich entschieden dagegen wehrte, ließen sie diese Beschuldigung fallen und gingen beim Verhör nicht mehr darauf ein. Später wurde mir klar, warum sie alle diese Beschuldigungen gegen mich erhoben. Ich sollte nämlich mehrere Vorstrafen haben und sollte von vorneherein schon als Staatsfeind dastehen; dann wäre nämlich meine Strafe erheblich schärfer ausgefallen. "Wir werden ihnen schon mehrere Vorstrafen anhängen"; mit diesen Worten stießen sie mich in Trier zur Gefängnistür hinein.

Am nächsten Tag wurde ich nach mehrmaligem Verhör durch die Gestapo wegen "Geringfügigkeit der Sache" - vielleicht auch mit Rücksicht auf die Haltung der Bevölkerung bei meiner Verhaftung freigelassen.

Eine Bemerkung, die der Gestapobeamte während des Verhörs so nebenbei machte, die mich aber aufhorchen ließ, soll hier festgehalten werden: "Nach dem Siege" - so sagte er - "werden wir eine ganze Reihe von Geistlichen wegen Hochverrat vor das Volksgericht stellen und ihnen den Prozess machen". Ich wagte die Frage: "Auch aus unserer Diözese"? Herr Sch. unter dem Trierer Klerus gibt es keine Hochverräter". Darauf die Antwort: "Jawohl, auch aus der Trierer Diözese; man wird sich noch wundern. Daß ich auch dabei sein sollte, nicht erst "nach dem Sieg", nein schon bald, noch vor Ablauf dos Jahres, kam mir nicht in den Sinn.

 2. Meine zweite Verhaftung. Oben

Ich dachte, die Sache sei nun erledigt; aber es kam anders. Am Vormittag des 23. Juli 1942 rief die Gestapo aus Trier am Fernsprecher an, ob ich zu Hause sei; sie wolle im Vorbeifahren mich nur etwas fragen. Gegen Mittag kamen 2 Gestapobeamte, aber nicht, um nur etwas zu fragen, sondern um mich erneut zu verhaften. Ich konnte noch eben mein Brevier nehmen; dann führten sie mich ab und brachten mich ins Untersuchungsgefängnis nach Trier. So war ich nur zum zweitenmal in Haft. Ich hoffte, auch dieses Mal werde es gut abgehen. Am folgenden Tage verhörte mich der Untersuchungsrichter und erklärte zu meinem Staunen, ich sei auf Anordnung des Qberreichsanwaltes beim Volksgericht in Haft genommen; und zwar wegen Hochverrat, Verbreitung staatsfeindlicher Schriften, Zersetzung des Volkes u.s.w. Ich erhob Einspruch gegen meine Verhaftung; aber es blieb dabei, weil "Fluchtverdacht" bestehe. An Flucht dachte ich nicht; ich war mir keiner Schuld bewußt. War doch, das Programm der Nationalen Reichskirche Deutschlands - die 30 Punkte - im Oktober 1942 in der Stadthalle in Trier von dem Redner Pg Paul Simon in öffentlicher Versammlung unter dem Beifall der braun Uniformierten in zustimmendem Sinne behandelt worden.

Vor 4- Wochen war meine Sache so "geringfügig", daß man mich aus der Haft entlassen hatte. Inzwischen hatte man daraus eine so große Sache gemacht, daß sie vor das Volksgericht kommen sollte. Darum wurde ich am 9. November ins Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit überführt. Zwei Beamte mussten mich auf dem Transport bewachen, weil ich des Hochverrates angeklagt war. Die Handfesseln legten sie mir, um mich zu "schonen" nicht an. Und doch sollte ich einige Wochen später Handfesseln tragen. Ich wußte, um ein Wort Wiecherts zu gebrauchen, dass die "große Mühle nun auch mich ergreife, um zu sehen, wie mein Korn beschaffen sei".

3. Vor den Volksgericht. Oben

Am 23. November 1942 fand die Verhandlung vor dem Volksgericht in Berlin statt, und zwar vor dem gefürchteten ersten Senat, der nur Todesurteile kannte, darum "Blutsenat" genannt. Die Anklage lautete auf "Vorbereitung zum Hochverrat, Zersetzung des Volkes, Begünstigung des Feindes" u.s.w.

Worin bestand nun mein Vergehen? Im November 1941 hatte ich in einer Privatunterhaltung - also nicht auf der Kanzel oder in der Öffentlichkeit - zu einem luxemburgischen Theologiestudierenden gesagt, die NSDAP wolle die katholische und evangelische Kirche beseitigen und dafür eine neue Deutsche Nationalkirche schaffen; es bestehe bereits ein Programm, dieser neuen Deutschen Kirche, das 30 Punkte umfasse. Ein solches Programm (Anl 1) hatte ich in der Tasche und gab es dem Theologiestudierenden zu lesen und fügte hinzu, daß dieses Programm offenbar aus Parteikreisen stamme. Er schrieb das Programm ab und gab es an einen anderen Theologiestudierenden weiter; und dieser gab es an einen Geistlichen in Luxemburg. Dort war es der Gestapo in die Hände gekommen. Das war mein ganzes Vergehen.

In dieser Unterhaltung konnte ich nichts Strafbares finden; um so weniger als im "Volksbrockhaus" (Ausgabe 1941 S. 472), also in einem Nachschlagewerk, das, wie der Titel sagt, fürs Volk bestimmt ist, zu lesen steht: "Im Deutschen Reich wird von verschiedenen Seiten eine Deutsche Nationalkirche angestrebt; Beweggrund dafür ist die Überzeugung, daß erst bei Glaubenseinheit die Volksgemeinschaft volle Festigkeit erlange". Man wird wohl nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß diese Bestrebungen von jener Stelle ausgingen und gefördert werden, von der auch das Schlagwort kam: "Ein Volk, ein Reich, ein Glaube". Und daß der Besitz dieses Programms als hochverräterische Handlung ausgelegt werden könnte, war mir nicht in den Sinn gekommen. Hatte doch der Gestapobeamte beim ersten Verhör mir erklärt: "Das 30 Punkteprogramm dürfen Sie im Besitz haben; was darin steht, kann man auch sonstwo (!) lesen und hören; nur dürfen sie damit keine Propaganda gegen die Partei betreiben.

Nach der Anklageschrift mußte ich mit der Todesstrafe rechnen. Anderseits baute ich auf das Gerechtigkeitsgefühl der Richter, zumal 3 Richter beim Volksgericht fungierten. Der damalige Justizminister hatte in jenen Tagen in einem Interview die "hochstehende" Qualität des Deutschen Rechtes ganz besonders betont. Das gab mir noch etwas Hoffnung. Diese sechs bange Stunden, die ich an diesem 23. November vor der Verhandlung in dem dunklen Kellergefängnis der Gestapo zubringen mußte, werde ich nicht vergessen. Es war da eine unheimliche Atmosphäre. Man hatte den Geschmack von Blut and Eisen im Mund. Tagelang ging mir dieser Geschmack nach. "Mein Gott errette mich vor meinen Feinden; befreie mich von meinen Widersachern. Entreiße mich der Hand der Übeltäter und schütze mich vor Mordgesellen". (Ps 58,1). So konnte ich an diesem unheimlichen Ort in Wahrheit mit dem Psalmisten zu Gott rufen.

Ein holländischer Offizier wurde zu mir in die Zelle gebracht. Anfangs war er sehr reserviert. Ich teilte mit ihm sein Stück Brot und da kamen wir uns näher. Im Laufe des Gespräches bekannte auch er wie so viele andere: "Ich vertraue ganz auf Gott"» (Ps 30, 8) Er hätte, wie es in demselben Psalmvers heißt, fortfahren können: "Ich freue mich und jubele über deine Huld". Er war, obwohl schon 2 Jahre in einem Lager in Haft, froh gestimmt und voller Hoffnung. Ich habe ihm von meinem Brot mitgegeben; er gab mir etwas von seiner hoffnungsvollen Stimmung mit.

Nicht vergessen werde ich auch diese traurige Prozession der 13 jungen Leute aus dem Sudetengau, die vor meiner Verhandlung zum Tode verurteilt worden waren; auch wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Sie hatten nicht mit der Todesstrafe gerechnet. Die Braut eines der Angeklagten war hingekommen im Glauben, ihr Bräutigam werde freigesprochen, und sie könnte ihn mit nach Hause nehmen.

Die Hauptverhandlung leitete der Vorsitzende des Volksgerichtshofes, Dr. Freisler, in theatralischer Aufmachung richtunggebend so, daß sowohl die Beisitzer als auch der Vertreter des Oberreichsanwaltes fühlen konnten, daß er, der Herr Vorsitzende, mich unter allen Umständen bestrafen werde. Das 30 Punkteprogramm der geplanten Nationalen Einheitskirche hatte der Volksgerichtshof in den Akten, und sie enthielten nichts anders, als was in der nationalsozialistischen Literatur und Schrifttum in Tausenden von Exemplaren im freien Handel erschienen war. Von dieser Literatur legte mein Verteidiger in der Hauptverhandlung neun verschiedene Schriften vor, darunter Bücher von Rosenberg, Reventlow, Dinter u.a. und bezeichnete genau die Stellen, in denen von der Nationalen Einheitskirche - wie in den 30 Punkten - genaue Ausführungen enthalten waren. Aus diesen Unterlagen wies ich überzeugend nach, daß der ganze Inhalt der 30 Punkte voll und ganz als Zukunftsentwicklung der Kirche behandelt war und zum Teil noch kraßer gefordert wurde. Davon hätte sich selbst der Vorsitzende des Volksgerichtshofes überzeugen müssen, aber zuerst interessierte er sich mehr dafür, aus welcher Bibliothek die Bücher entliehen waren. Mit Genugtuung und unter spöttischen Bemerkungen stellte er fest, daß diese Bibliothek einer kirchlichen Stelle unterstand. Das war für ihn wichtiger als der Inhalt der Bücher. Obschon mein Verteidiger klar und deutlich und mit entsprechender Betonung die in Frage kommenden Stellen vorlas, zog der Vorsitzende nicht daraus den Schluß, daß ich freigesprochen werden müßte, weil ich nur das in Händen und weitergegeben hatte, was in Literatur und Schrifttum veröffentlicht worden war. Vielmehr in theatralischer Form, mit laut erhobener scharf akzentuierter Stimme rief der Vorsitzende: "Herr Verteidiger, wollen Sie etwa behaupten, der Nationalsozialismus stehe nicht auf christlichem Boden"? Antwort des Verteidigers: "Um diese Frage handelt es sich hier nicht; sondern der Angeklagte erklärt, ihm sei die gesamte Literatur über die Nationale Einheitskirche und deren öffentlicher Vertrieb im Buchhandel in Tausenden von Auflagen bekannt gewesen, und er wisse, dass der nationalsozialistische Staat die Macht habe, alles zu unterbinden, was nicht von ihm gesollt oder gebilligt wird". Darauf die Antwort des Vorsitzenden, der so erregt aufspringt, daß er seinen schweren Sessel umwarf: "Angeklagter Reuland, Sie als studiertes Mann, der das Reifezeugnis eines Deutschen Gymnasiums hat, Sie als katholischer Geistlicher, mußten wissen, dass die NSDAP nicht religionsfeindlich ist, sondern daß sie auf christlichem Boden steht. Wenn Sie als akademisch gebildeter Mensch, sich also mit dieser Frage befassen wollten, dann brauchten Sie nur Hitler "Mein Kampf" aufzuschlagen und fanden dort im § 24- des Parteiprogramms den Satz: "Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums; dann wußten Sie also Bescheid und waren aufgeklärt; die von Ihnen angeführte Literatur dagegen- enthält Privatmeinungen". Damit stand meine Verurteilung fest. Der Vertreter des Oberreichsanwalts schloß sich dieser Auffassung des Vorsitzenden an, entgegen der Auffassung vor der Hauptverhandlung im Ermittlungsverfahren, wo sowohl der Bearbeiter des Reichsanwalts als auch der Sachbearbeiter Aussicht auf Freispruch für mich für gegeben hielten, und zwar mit Rücksicht auf das von der Verteidigung in Aussicht gestellte Entlastungsmaterial. Aber der Vorsitzende war anderer Auffassung, weil eben in mir ein katholischer Priester als Angeklagter vor ihm stand. Jeder in der Verhandlung mußte einsehen, daß jedes weitere Wort umsonst war. Das Ganze kam mir vor wie eine schlecht gespielte Komödie, als Parteitheater; eher alles andere als Volksgericht. Die christliche Weltanschauung sollte getroffen werden und in ihr das gesamte gläubige Volk. Das kam deutlich zum Ausdruck bei dem Freispruch des mitangeklagten Theologiestudierenden, der von mir die 30 Punkte erhalten hatte; ihm gab der Vorsitzende den Rat, er solle sein bisheriges theologische Studium drangeben und nunmehr etwas Vernünftiges studieren. Solch einem Vorsitzenden gegenüber brauchte kein katholischer Priester den Versuch der Verteidigung zu wagen; denn bei diesem Vorsitzenden gab es für einen katholischer Priester von vorneherein nur schärfste Verurteilung. Und so wurde ich denn wegen "Unwahren Behauptungen über die Religionsfeindschaft des Nationalsozialismus" zu 7 Jahren Zuchthaus, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für die Dauer von 7 Jahren und zur Tragung der Unkosten verurteilt. Der Vorsitzende mag wohl bei der Verkündigung des Urteils die Ungerechtigkeit gefühlt haben; darum fügte er noch, mündlich die Worte hinzu: "Der Angeklagte Reuland hat ja keinen großen Schaden angerichtet; aber wir wollten ein für andere abschreckendes Urteil fällen" (Abschrift des Urteils ist in Anlage 2 enthalten). Auch hier zeigte sich das Ziel der Gestapo, jeden Widerstand gegen, die nationalsozialistische Weltanschauung zu brechen, die katholischen Geistlichen zu Staatsverbrechern zu stempeln, und durch harte Strafen abschreckend zu wirken.

4. Im Zuchthaus in Werl. Oben

Am 8. Dezember 1942 kam ich auf Transport. Wie Schwerverbrecher wurden wir in Berlin an den Händen mit einer Kette gefesselt an den Zug gebracht und in einen Gefangenenwagen hineingepfercht. Es ging nun für 7 Jahre - vielleicht noch länger – ins Zuchthaus nach Werl in Westfalen. Unterwegs war ich in den Gefängnissen in Hannover und Dortmund. Hier in Dortmund kam mir zum erstenmal zum Bewußtsein, daß ich nun Zuchthäusler war. Wir saßen zu 11 Mann in der Zelle; jeder erzählte, warum er bestraft war. Ob jeder die Wahrheit sagte, ist eine andere Frage. Ein echter Gottloser - so nannte er sich selbst - der schon mehrmals im Zuchthaus war und sich dessen rühmte, sagte spöttisch: "Gelt Pastor, jetzt bist du ein Lump wie wir". Es wurde ganz still in der Zelle. Da sprang einer von den Mitgefangenen - er war evangelisch - auf und sagte: "Daß du ein Lump bist, das wissen wir alle; du hast ja eben deine Schandtaten erzählt. Und daß der Pastor hier kein Lump ist, das wissen wir auch alle. Er ist nur für seine christliche Sache, wie es seine Pflicht war, eingetreten. Es wird die Zeit kommen, da wird man es ihm zur Ehre anrechnen, daß er dafür im Zuchthaus war.“ Die andern stimmten ihm alle zu; und beinahe hätten sie den Gottlosen durchgeprügelt.

Einen guten Rat hatte ein Arzt im Gefängnis in Berlin mir gegeben. Bei der Untersuchung vor dem Abtransport sagte er zu mir: "Bei Ihnen kommt alles auf die innere Haltung an; sonst können Sie die 7 Jahre Zuchthausstrafe nicht aushalten" Ich muß ihm dankbar sein für dieses Wort. Eine tapfere innere Haltung sollte ich brauchen mehr als ich ahnte.

Schon gleich der Empfang im Zuchthaus in Werl war für mich niederdrückend. Der diensttuende Beamte, der mich an meiner Kleidung als katholischer Geistlicher erkannte, sagte höhnisch; "Ihnen zieht keiner mehr einen Zahn". Damit wollte er offenbar sagen, daß ich nicht mehr lebendig aus dem Zuchthaus herauskäme. Und später in Münster stellte der Oberverwalter mich gleich aus den Gefangenen heraus und schrie mich an: "Was haben Sie verbrochen? Natürlich ein Hochverräter wie alle katholischen Geistlichen. Erschießen sollte man sie alle, erschießen", das waren die ersten Worte, die man mir im Zuchthaus sagte. Ich dachte an das Psalmwort: "Ich bau auf Gott; ich fürchte nichts. Was könnte ein Mensch mir antun"? (Ps. 55,4) Aber dieses zweimalige "Erschießen sollte man Sie", so leidenschaftlich herausgeschrieen aus einem verzerrten Gesicht, das ging mir noch lange nach. Sooft ich den Beamten sah, mußte ich daran denken. Ob es eine Vorahnung war?

Ganz anders sprach der Zuchthauspfarrer zu mir, der mich gleich am nächsten Morgen besuchte: "Sie brauchen ihre 7 Jahre nicht abzusitzen. Ich habe Ihre Akten durchgesehen; es steht nichts Belastendes drin. Der Herrgott hat tausend Mittel und Wege, sie aus dem Zuchthaus herauszuführen. In te Domine speravi, auf dich o Herr hoffe ich; du läßt mich nicht zu Schanden werden". Behalten Sie sich diese Worte gut. Und ich habe sie mir gut behalten.

Er lehrte sich auch ein Gebet, verfasst vom Dogmatikprofessor Bartmarnn:

"Ich weiß, daß du mein Vater bist
 in dessen Hand ich wohlgeborgen.
 Ich will nicht fragen, wie du führst,
 Ich will dir folgen ohne Sorgen.
 Und gäbest du in meine Hand mein Leben,
 auf daß ich selbst es wende,
 mit kindlichem Vertrauen legt Ichs zurück in deine Hände"

Dieses Gebetchen hat mir viel gegeben; es hat lange gedauert, bis ich es fertig brachte, es mit innerer Zustimmung zu beten. Schließlich hat das Leid mich reif gemacht, daß ich doch mein Ja dazu sagen konnte. Langsam, Tag für Tag möchte ich sagen, ist das Verständnis für das Leid in mir gewachsen, bis die Erkenntnis ganz groß vor mir stand: Leiden ist nicht sinnloses, nicht ungerechtes Schicksal; Leiden ist Gnade.

Es war die stille Adventszeit - 11. Dezember - als ich in3 Zuchthaus in Werl eingeliefert wurde. In eine neue Welt war ich eingetreten, in eine Welt der Ängste und der Rätsel; in mir wurde es mit jedem Tag stiller; ich kam mir vor wie tot; am liebsten wäre ich gestorben. "Jetzt bist du für 7 Jahre begraben", sagte mir einer von den Gefangenen; hier darfst du nichts sehen und nichts hören; hier darfst du kein Herz in Leibe haben, sonst gehst du zugrunde". Ein anderer wollte mir Mut machen: "Du wirst es schon packen; aber hart wie Stahl, zäh wie Leder, stur wie ein Panzer mußt du hier sein". Es dauerte mehrere Tage, bis ich das innere Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Ich dachte noch rechtzeitig an den Rat des Arztes: "Bei Ihnen kommt alles auf die innere Haltung an"; und ich raffte mich wieder auf. Oft ging es mir in jenen Tagen durch den Sinn: "Ich weiß, daß du mein Vater bist...ich will dir folgen ohne Sorgen"; weiter wagte ich es noch nicht zu beten.

Bisher durfte ich noch meine Priesterkleider tragen. Nun mußte ich sie ablegen für 7 Jahre - oder für länger - oder für immer. Die Haare wurden mir kurz geschoren; nun war ich Zuchthaussträfling. Es kam mir vor, als ob ich in einen tiefen Abgrund gestürzt wäre, aus dem es keine Rettung mehr gab. Sträflingskleider mit den breiten Streifen, was das bedeutet, weiß nur der, der sie getragen. Wie oft mußte ich des Morgens denken, jetzt ziehen deine Mitbrüder ihre priesterlichen Gewänder an, um an den Altar zu treten. Wann wirst du das auch wieder können? Wirst du überhaupt wieder diese glückliche Stunde erleben? Und es leuchteten vor mir auf die Anfangsworte der Vorbereitungsgebete vor der hl. Messe, die viele meiner Mitbrüder jetzt beteten: "Quam dilecta tabernacula"..."Wie lieb ist deine Wohnung mir, o Herr der Himmelheere. Verlangend nach dem Haus des Herrn verzehrt sich meine Seele". (Ps.83,1)« Ja, es kann zur Qual werden diese "tiefe Sehnsucht nach dem wunderschönen Opferdienst an den Altären, wieder leben und wirken zu können als Ausspender der Mysterien Gottes". (Lippert) Oftmals habe ich mich dabei ertappt, wie ich bei meiner Arbeit Präfation, Pater noster usw. leise für mich gesungen habe. "Tu es sacerdos in aeternum"; "Du bist Priester in Ewigkeit“ - und bleibst es auch in Sträflingskleidern.

Es kam die erste Weinnacht im Zuchthaus. Wie lebte da die Erinnerung auf an Weihnachten in meiner Pfarrei! Ein ganz tiefes Heimweh packte mich. Siebenmal also sollte ich Weihnachten als Gefangener erleben; es kam mir einfach unmöglich vor. Bisher hatte ich es nicht fertiggebracht, beim Gottesdienst zu singen. Es erging mir, wie es im Ps 136,5 heißt: "Wie könnten wir ein Lied vom Herrn im fremden Lande singen"? Das Zuchthaus war für mich wahrhaftig ein fremdes Land. Die Orgel intonierte das Lied: "Ihr Kinderlein kommet"; es wurde ganz still in der Kirche. Das Lied paßt doch nicht hierhin dachte ich, und schon stimmte der Organist die erste Strophe an; er sang allein; man fühlte das Staunen, fast möchte ich sagen, das Erschrecken der Gefangenen. Zögernd kamen eine, zwei und mehr Stimmen hinzu", schließlich sind es schon viele beim Schluß der ersten Strophe: "Der Vater im Himmel für Freude uns macht". Ich weiß nicht, wie es kam, bei den letzten Worten habe ich auch mitgesungen. Und die zweite Strophe wurde von allen gesungen, so froh und selbstverständlich wie in den Kindertagen; nur die rauhen Stimmen wollten nicht so recht dazu passen; etwas wie Schuld und Leid hing an den Stimmen. Von da an konnte ich auch wieder die Lieder mitsingen. Und in der sogenannten "Freistunde" am nächsten Tag sprach man, wenn es ungesehen geschehen konnte, von diesem Lied. Ich hörte, wie mein Vordermann es leise vor sich hinsummte.

Die Behandlung im Zuchthaus Werl war menschlich. Schwer war mir im Anfang das Zusammenleben mit Menschen, die keine Hoffnung mehr haben. Hier in Werl waren nämlich lauter Sicherheitsverwahrte d.h. Sträflinge, die zwar nicht zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt waren, aber doch keine Hoffnung mehr hatten, je wieder in Freiheit zu kommen. Ich befürchtete, auch zu den Sicherheitsbewahrten zu zählen, zumal mir einer von den Gefangenen gesagt hatte: "Weißt du auch, was die grünen Streifen an deinen Sträflingskleidern bedeuten ? Du gehörst jetzt zu den Sicherheitsbewahrten und kommst niemals mehr aus dem Zuchthaus heraus. Du hast jetzt lebenslänglich wenn du auch nur zu 7 Jahren verurteilt bist. "Lebenslänglich" -als ich das hörte, bin ich tief erschrocken. Sehr beunruhigt waren wir über das Gerücht, daß alle Sicherheitsverwahrten und Zuchthaussträflinge mit einer Strafe von 5 Jahren an in Arbeitslager kommen sollten, um durch schwere Arbeit und wenig Essen vernichtet zu werden. Daß dieses wirklich beabsichtigt war, hat der Nürnbergerprozess bewiesen.

Meine Arbeit bestand in der ersten Zeit darin, dass ich Kleider und Uniformen auftrennen mußte. Die Arbeitszeit war von 7-12 und von 1-5 Uhr.

Die religiöse Betreuung war gut. Der Zuchthauspfarrer, Herr Studienrat Schulte, tat für die Gefangenen mehr, als man ihm bei seinen 76 Jahren zumuten konnte. Jede Woche brachte er mir die hl. Kommunion in die Zelle. Eine oder zwei hl. Hostien habe ich für die folgenden Tage aufbewahrt und in meinem Putzkasten versteckt-, oder wenn Zellenrevision zu befürchten war, in der Tasche bei mir getragen. Das bedeutete für mich eine große Erleichterung der Haft. Ich fühlte mich nicht allein in der Zelle. Ich habe es erfahren: "Von ihm ging eine Kraft aus". (Lc 6,19)

Wie groß das Verlangen nach der hl. Kommunion bei manchen Gefangenen war, habe ich in ergreifender Weise bei meinem Zellennachbar erfahren. Er war über ein Jahr im Gefängnis und wurde in strengster Einzelhaft gehalten. Mit seiner Familie, die in Paris wohnte, hatte er keine Verbindung; sie wußte nicht, wo er sich befand, und ob er noch am Leben war; er durfte keine Briefe schreiben oder empfangen; durfte in keinen Gottesdienst gehen, an keiner Freistunde teilnehmen; der Gefängnisgeistliche durfte ihn nicht besuchen. Eines Tages konnten wir doch miteinander sprechen. Da packte er mich am Arm und stöhnte: "Verhelfen Sie mir doch zur hl. Kommunion; ohne sie ertrage ich dieses Leben nicht mehr"! Ich hatte eine konsekrierte Hostie bei mir; und ich hätte sie ihm gereicht; aber es kam ein Wachtmeister hinzu.

Unser guter Zuchthauspfarrer gab sich Mühe, den Gottesdienst an den Sonn- und Feiertagen so schön zu gestalten, wie es unter den gegebenen Verhältnissen möglich war. An hohen Feiertagen dienten 6 Sträflinge als Messdiener am Altar. Gerne wäre ich auch dabei gewesen, aber es wurde mir nicht gestattet. Selbst das Maialtärchen fehlte nicht. Es war wirklich nur ein Altärchen; zwei Blümchen, gewachsen zwischen dem Hofpflaster, bildeten den ganzen Schmuck; aber wir wußten, es war Maimonat und sangen unsere Marienlieder. Tief zu Herzen gingen die schlichten Predigten mit ihren lebenwahren Beispielen. Oft haben wir untereinander über die Predigten gesprochen, der beste Beweis, daß sie uns bewegten. Sie kamen von Herzen und gingen zu Herzen. Nach einer Predigt sagte zu mir ein Gefangener (Kommunist) "lst das wahr, was dar Pastor heute über die Taufe gepredigt hat? Das habe ich nicht gewußt. Wenn ich aus dem Zuchthaus nach Hause komme, ist das Erste, ich lasse meine drei Kinder taufen", Und wenn "unser Pastor" - so nannten wir den Suchthauspfarrer - Sonntags nicht kam oder nicht zu uns sprechen konnte, dann war es für uns kein Sonntag. Es wäre ein nicht gut zu machender Schaden, wenn die Seelsorge im Zuchthaus oder Gefängnis fehlen würde.

Unvergesslich bleibt mir das Bild über dem Altar in der Zuchthauskirche: der Sturm auf dem Meer. Etwas wie eine heilige Ruhe ging von diesem Bilde aus; immer wieder zog es die Blicke auf sich. Mancher wird aus tiefstem Herzen gebetet haben: "Herr hilf mir, sonst gehe ich zugrunde" Und es war fast so, als ob der Herr antworten würde: "Warum seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen"? Warum, macht ihr euch so viel Sorge? All das, was ihr als so schwer empfindet, was ihr furchtbar und entsetzlich nennt, ist seit Ewigkeit im Plan des Vaters beschlossen und ist nur zu eurem Besten" So war das Bild jeden Sonntag für uns eine stille Predigt.

Neben mir in der Kirche saß ein evangelischer Diakon, der vor kurzem konvertiert war und schwer unter Selbstmordgedanken zu leiden hatte. Er bat mich um ein tröstendes und aufmunterndes Wort. Ich wies ihn hin auf das Bild über dem Altar. Es gab ihm jedesmal Trost und Kraft, und voll Freude konnte er nach einiger Zeit sagen. "Ich habe die Selbstmordgedanken überwunden".

Die Kirche war der einzige Raum im Zuchthaus zu Werl, der im Winter nicht geheizt war. Oft war es bitter kalt, zumal wir keinen Mantel, keine Unterkleider und keine Strümpfe hatten. Nichts im Leib und nichts um den Leib, das ließ einen die Kälte doppelt fühlen. Aber dadurch ließ sich kaum einer vom Besuch des Gottesdienste abhalten. Es hat mich tief ergriffen, wenn die Gefangenen in ihren Holzschuhen, oft mit wunden und blutenden Füßen, bedeckt mit Geschwüren, oder barfuß zur Kommunionbank kamen; oder wenn ich sah wie ein Blinder von einem Gefangenen, der so elend aussah, daß er selbst eine Stütze gebraucht hätte, zur Kommunionbank geführt wurde. Armer Blinder, du hast ein doppeltes Kreuz zu tragen. Es war eine ergreifende Verwirklichung des Heilandandswortes: "Kommt zu mir alle, die ihr müheselig und beladen seid". Für viele Gefangene wurde der Gang zur Zuchthauskirche an den Sonntagen zu einer Begegnung mit Christus.

5. In Zuchthaus in Münster /Westfalen. Oben

Das Zuchthaus in Werl enthielt einen Rüstungsbetrieb I.Klasse. Weil ich des Hochverrates angeklagt und angeblich eine Gefahr für die Sicherheit des Rüstungsbetriebes war, wurde ich am 10. Sept. 4 5 in das Zuchthaus in Münster /Westf. gebracht. Dort blieb ich bis zum 4. November 1944.

Ich kam auf die Strickerabteilung und erlernte das Stricken mit der Maschine. Mein Lehrmeister war mein Zellennachbar, ein tschechischer Schuldirektor. Seine erste Frage war: "Bist du ein Nationalsozialist"? Als ich ihm sagte: "Ich bin kein Nationalsozialist und werde es auch nie werden; ich bin katholischer Geistlicher! da fiel er mir Freude um den Hals. "Wir wollen gute Freunde sein", sagte er, "wir sind ja keine Verbrecher, sondern politische Gefangene; Kirche und Schule gehören ja zusammen". Die Freude dauerte nur eine Woche. Eines Abends stand er auf dem Stuhl am Fenster seiner Zelle, um ein Stück Himmel zu sehen. Dabei wurde er von einem Wachtmeister erwischt und bekam als Strafe 14 Tage "Bunker". Daß es im Zuchthaus noch so etwas gebe, wie Bunker, Dunkelzelle u.s.w., war mir bis dahin unbekannt. Nun kam ich zu einem andern Lehrmeister; er war ein überzeugter Kommunist und Gottloser; er nannte sich: "Roter General des Ruhrgebietes". Wir wurden gute Freunde; und eine Tages sagte er zu mir: "Du bist der erste, der mir in meinen vielen Zuchthausjahren als Mensch nahe gekommen ist; von heute ab sind wir Brüder". Und als es kalt wurde, gab er mir seine halbwollene Unterjacke und nahm dafür meine Weste, die aus dünnem Futtertuch war. Jeden Morgen stand er eine Stunde vor dem Wecken auf und trieb Gymnastik, um sich gesund zu erhalten und, wie er sagte, um seiner kommunistischen Sache später mit aller Kraft dienen zu können. Er ermunterte mich, es ihm nachzumachen; ich war morgens zu müde. Wie viele andere Kommunisten kam er ins KZ nach Mauthausen. Er brachte es noch fertig, seine gute Wolldecke vor dem Abtransport in meine Zelle zu schmuggeln und meine Decke, die aus lauter Löchern bestand mitzunehmen und auf der Kleiderkammer abzugeben. Diese Decke hat mir bis zum Schluß gute Dienste geleistet.

Täglich mußte ich 10 Paar Strümpfe verkaufsfertig stricken. Die Arbeitszeit war 9 Stunden. Trotz meiner Arbeit mußte ich an Unterhaltungskosten 1,50 RM pro Tag für die Dauer der Zuchthausstrafe zahlen; und zwar für 5 Jahre im voraus. Und so bekam ich im Juni 43 die Aufforderung, sofort 3422.16 RM an die Gerichtskasse in Berlin einzuzahlen. Bei Zahlungsunfähigkeit würde mein Vermögen beschlagnahmt. Dazu kamen noch die Unkosten für den Prozess vor den Volksgericht und die Gebühren für meinen Verteidiger. "Wir werden unsere Gegner wirtschaftlich ruinieren" hatte Hitler gesagt. Mein Gehalt war vom 01.01.43 ab gesperrt; so war ich also auch unter die "Sperlinge" geraten. "Sie säen nicht, sie ernten nicht... und doch ernährt sie Gott". (Lc 12.24)

Die Behandlung war sehr streng. Das Zuchthaus in Münster galt als Musteranstalt. Auch wurde ich geschlagen und getreten. Eines Morgens beim Kaffe austeilen stürzte der Beamte, weil ich ihm anscheinend nicht schnell genug machte, in meine Zelle, schlug mir mit der Faust ins Gesicht, daß ich zurücktaumelte und schrie mich dabei an "Wenn Sie ihre Messe auf dem Flur halten wollen, müssen Sie schneller machen". Als ich wieder auf den Beinen stand, war die Zellentür schon zugeschlossen. Das Ganze kam mir vor wie ein Teufelsspuk. Derselbe Beamte hat mich, auch am Hals gepackt, gewürgt, aus der Zelle herausgerissen und mit solcher Wucht auf den Flur geworfen, daß die andern Gefangenen meinten, ich würde nicht mehr aufstehen. Eine besondere Freude machte es ihm, wenn er mir durch das schnelle Zuwerfen der Zellentür das Essen aus der Hand schlagen konnte, sodaß der Eßnapf mit Inhalt auf den Boden fiel. Sonntagsruhe gönnte er mir nicht. Den Fußboden der Zelle spiegelblank bohnern - ohne Bohnerwachs - mit einem Trinkglas oder Holzkeil der Fußboden, der wie ein Parkettboden aus 240 kleinen Brettern bestand solange Strich für Strich reiben, bis der Saft des Holzes dem Boden Glanz gab und wie gebohnert aussah; die Federn an der Stahlmatratz des hochgeklappten Bettes blank reiben; den großen Arbeitstisch aus Buchenholz mit einem Messer oder einer Glasscherbe schaben, daß er ganz weiß wurde, und andere Schikanen, das war so die Arbeit für den Sonntag. Ich war Sonntags Abend mehr müde als an den Werktagen. Eine Beschwerdeinstanz gab es nicht. Was konnte ich da anders machen, als still sprechen: "Erbarme dich meiner, Gott; der Feind zertritt mich; den ganzen Tag bedrängt mich hart der Gegner den ganzen Tag bedrücken mich die Feinde". (Ps. 55,1-2) Oft haben die Wachtmeister durch das kleine runde Fensterchen an der Zellentür -"Spion"- genannt, mich beobachtet, selbst des Nachts, um zu sehen, wie einer sich ausdrückte, "was der Pfaff in seinwer Zelle treibt, ob er nicht betet, statt für den Führer zu arbeiten". Sehr scharf wurde ich auch in der Freistunde beobachtet, damit ich ja nicht mit andern sprechen konnte. Oft wurde ich von einzelnen Beamten als katholischer Priester verspottet, besonders unter Anspielung auf die sogen. Sittlichkeitsprozesse. Schlimme Gerüchte über die katholischen Geistlichen, auch über den Hl. Vater, wurden in Umlauf gesetzt; Gerüchte, die ich hier nicht wiedergeben kann.

Die Gefangenen waren gegen mich anständig, gerade weil ich ihnen als katholischer Geistlicher bekannt war— auch die Kommunisten und Gottlosen. Viele suchten mit mir ins Gespräch zu kommen und betrachteten mich, weil ich Priester war, ohne weiteres als ihr Freund. Zwar hatte mir ein alter Zuchthäusler gesagt: "Du mußt dich hier in acht nehmen und dich ganz für dich halten; im Zuchthaus ist einer dem andern sein Teufel". Das war übertrieben. Auch da gab es Kameradschaft, besonders unter den politisch Gefangenen. Viele Freunde hatte ich unter den Luxemburgern, besonders als sie erfuhren, daß ich mit zwei Luxemburgern vor dem Volksgericht war. Ins Untersuchungsgefängnis in Trier kamen oft größere Gefangenentransporte aus Luxemburg; es waren fast nur politisch Gefangene. Manchem habe ich ein Trostwort sagen können, wenn wir uns auf dem Flur begegneten, oder wenn sie an meine Zellentür klopfen kamen. Der Zuchthausgeistliche in Münster durfte mich in der ganzen Zeit nur einmal besuchen. Von Ende 1943 an war dem Geistlichen der Zutritt zur Zelle verboten. Auch sind um dieselbe Zeit die Schilde: auf den Zellentüren, auf denen die Religion des Zellenbewohners verzeichnet war, entfernt worden. Wenn Gefangene den Geistlichen sprechen wollten, mußten Sie sich beim Abteilungswachtmeister melden. Ich habe mich einmal gemeldet; es war umsonst; anders habe ich es auch nicht erwartet. "Wenn Sie sich unterstehen, sich noch einmal zum Geistlichen zu melden, dann werden sie etwas erleben". Dabei griff er nach seinem Gummiknüppel. Ich wußte, was das bedeuten sollte.

In den 3 Zuchthausjahren durfte ich kein Brevier beten, obwohl ich öfter um Erlaubnis darum nachgesucht habe; ich durfte nie zelebrieren, durfte keine Bibel, kein religiöses Buch und keinen Rosenkranz haben. Den Rosenkranz habe ich 3 Jahre hindurch an eine Schnur mit 10 Knoten gebetet; nur war es manchmal schwer, zu einem neuen Stückchen Schnur zu kommen, wenn man mir bei einer Taschenrevision mein Stückchen Rosenkranz abgeholt hatte. Jedenfalls habe ich an dem Stückchen Schnur mit 10 Knoten in meiner Zella den Rosenkranz andächtiger gebetet, als draußen in der Freiheit an einem teuren Rosenkranz.

Aus der Bibliothek konnte kein religiöses Buch entliehen werden. Alle Bücher mit religiösem Inhalt waren schon 1935 aus der Bücherei des Zuchthauses entfernt und verbrannt worden. Nur einige Hefte vom "Hausschatz" waren von gutgesinnten Gefangenen gerettet worden. Sie waren als kostbarer Schatz in einer Zelle versteckt und gingen heimlich von Hand zu Hand. Es stand darin auch ein Artikel über das katholische Priestertum. "Ich wußte nicht" sagte ein Gefangener, nachdem er es gelesen, "daß es etwas so Großes ist um das katholische Priestertum; hätte ich das früher gewußt"! Besonders gefiel ihm der Priestersamstag. Nach seiner Freilassung wollte er mithelfen, daß junge Leute den Weg zum Priestertum finden. Und dann erzählte er weiter: "Ich bin in mehreren Gefängnissen, Lagern und Zuchthäusern gewesen; der Einzige, der mir dort als Mensch begegnet ist, war der Geistliche. Früher war Ich ein Feind der Priester; ich hielt sie für .überflüssig. Nun habe ich eingesehen, daß die Welt sie braucht. Ich habe immer gefunden, sie säen nicht Haß, sondern Liebe; und das brauchen die Menschen heute. Der Priesterberuf ist doch ein schöner Beruf". "Da hast Du mir aus der Seele gesprochen", sagte ich ihm. "Der Priesterberuf ist ein schöner Beruf; das erkenne ich auch immer mehr. Und das hast Du ganz richtig gesehen: Liebe muß der Priester predigen. Etwas von der "Güte und Menschenfreundlichkeit" seines Meisters muß er an sich haben und es in die Welt ausstrahlen lassen".

Wieviele gute Samenkörner wären ausgestreut worden und hätten in der Stille der Zelle in dem Leid und in der Not Wurzel gefaßt, wenn religiöse Bücher in die Hände der Gefangenen gekommen wären. Immer wieder stellte ich fest, es bestand ein wahrer Hunger nach religiösen Schriften. Zwar gehörten Bibel und Katechismus zum Inventar der Zellen; so stand wenigstens auf dem Inventarverzeichnis, das in jeder Zelle hing; aber in keiner Zelle waren sie zu finden. Als ich einmal einen Beamten darüber befragte und um Bibel und Katechismus bat, schrie er mich an: "Was wollen Sie"? und zeigte dabei auf den Gummiknüppel.

Mancher Gefangene hätte bestimmt gern zum Neuen Testament gegriffen. Ein Belgier zeigte mir ein kleines Büchlein und sagte: "Das ist das schönste Buch, das mir bis jetzt in die Händen gekommen ist; ich muß immer wieder darin lesen. Und wenn ich frei komme, werde ich es für meine Familie kaufen in der schönste ausgäbe". Ich war gespannt, was für ein Buch dass sein sollte. Es war das Neue Testament in französischer Sprache. "Da hast du Recht lieber Freund", sagte ich; "es ist das schönste Buch, das es gibt, es ist das Buch der Bücher. „Es ist mir", so erzählte er weiter, „bei Aufräumungsarbeiten draußen in der Stadt zufällig in die Hände gefallen; da habe ich ja Glück gehabt" "Ja, da hast du wirklich Glück gehabt; aber das war kein Zufall, daß es dir in die Hände gekommen ist. Vielmehr hat der Herrgott es dir in die Hände gespielt". Das konnte er nicht so recht verstehen. Und als ich es ihm näher erklärte, da meinte er ganz treuherzig: "Der Herrgott ist doch gut gegen mich; und ich will von jetzt ab auch gut gegen ihn sein"!

Bei Aufräumungsarbeiten in der ausgebrannten Kirche im Zuchthaus in Münster fand ich einen Voksschott. Schnell steckte ich den kostbaren Fund in die Tasche und nahm ihn mit in meine Zelle. Ich war überglücklich, nach fast 2 1/2 Jahren wieder ein religiöses Buch in der Hand zu haben. In den nächsten Tagen gehörte jede freie Minute dem Schott. Ich schrieb mir daraus eine ganze Anzahl von Bibelstellen auf Zettel; und so kam ich allmählich zu einer kleinen geschriebenen Bibel. Ich machte es so, wie der Herr einst zur hl. Gertrud sagte: "Schreib sie auf, lies sie oft und bewahre sie wie heilige Reliquien". Jeder Satz kam mir vor wie ein Edelstein, der, je länger man ihn betrachtet, um so schöner funkelt. Ein Satz am Morgen durchgelesen, tagsüber zwischen der Arbeit im Herzen bewahrt, das war Nahrung für Seele und Geist und half mit, das Leben erhalten. "Der Mensch lebt nicht vom Brote allein, sondern von jedem Wort das aus dem Munde Gottes kommt". (Mth. 4,4) das ist buchstäblich wahr. "Gedanken sind Kräfte, die Himmel und Erde bewegen", sagt man; ganz besonders jene Gedanken, die das Wort Gottes vermittelt. Oft stieß ich auf die Bibelstelle, die ich gerade an dem Tage oder in dem Augenblick brauchte und mich wider aufrichtete und neuen Mut gab. Die Freude am Schott sollte nicht lange dauern. Wir kamen bald ins Gefängnis nach Bochum. Dort wurde mir der Schott weggenommen, oder vielmehr als "ein im 3. Reich verbotenes Buch" aus der Hand gerissen. Einige Wochen später hatte ich dieses verbotene Buch doch wieder in meiner Zelle; um so größer war meine heimliche Freude. Der Gefängnispfarrer hatte es mir besorgt. Der Gottesdienst wurde fast von allen katholischen Gefangenen besucht - zum Ärger der Wachtmeister. Manche mögen wohl gekommen sein, um sich die Zeit abzukürzen, oder um Freunde zu sehen und wenn möglich, zu sprechen. Im großen und ganzen kann man wohl sagen, der Besuch des Gottesdienstes war für die Mehrzahl der Gefangenen ein Herzensbedürfnis. In Bochum waren ca 80 % der Gefangenen Ausländer; die übrigen verteilten sich auf alle Diözesen des ehemaligen Grossdeutschlands , und darum haperte es manchmal sehr beim Singen. Die Einheitslieder waren zu wenig bekannt. Am besten klappte immer das Tantum ergo und von den Liedern mit deutschem Text ging wohl am besten: "0 du mein Heiland hoch und her". Ein Lied wurde im Zuchthaus in Werl mit besonderer Vorliebe gesungen; man merkte beim Singen die innere Teilnahme ; es war das Lieblingslied des Zuchthauspfarrers:

"0 mein Christ, laß Gott nur walten,
 bete seine Vorsicht an.
 Liebreich wird er dich erhalten,
 er, der nichts als lieben kann.
 Wer auf ihn sich ganz verläßt,
 dessen Glück steht felsenfest".

In der ersten Woche sagte mir in Bochum ein Gefangener, der schon 8 Jahre Zuchthaus hinter sich hatte; "hier in dieser Hölle wird viel gelitten, aber auch viel gebetet". Letzteres wollte ich nicht so recht glauben; jedenfalls ist dort mehr gebetet worden, als ich anfangs annahm. Immer wieder hörte ich von Mitgefangenen den Wunsch, ein Gesang- und Gebetbuch in der Zelle zu haben; so war es ja auch Vorschrift. Aber die Gesangbücher wurden an den Sonntagen beim Gottesdienst ausgegeben und am Ende wieder eingesammelt. Ganz besonders fiel mir auf, daß ausländische Gefangene so viel den Rosenkranz beteten; gewiß nicht alle, aber doch viele. Oft habe ich gefunden, daß sie des Abends, wenn keine Kontrolle mehr zu befürchten war, gemeinsam in ihrer Zelle den Rosenkranz beteten, und zwar oft mehr als einen Rosenkranz. In der Zelle neben mir z.B. waren ein Holländer, ein Belgier und ein Elsäßer. Sie haben sich nicht immer gut vertragen; aber wenn es abends 6 Uhr war, waren sie einig und beteten gemeinsam zwei Rosenkränze. Dabei beteten sie so rasch, daß der Holländer nicht immer nachkam. Ich habe es nicht erlebt, daß wir deutschen Gefangene gemeinsam, einen Rosenkranz zustande brachten. Auf dem Arbeitssaal fiel mir ein Gefangener - es war ein belgischer Rechtsanwalt - durch sein stilles Wesen auf. Wir wurden gute Freunde; er gestand, daß er jeden Tag bei der Arbeit 2 Rosenkränze bete und sein ganzes Vertrauen auf die Mutter Gottes setze; er war nie mutlos und munterte die andern stets auf. Eines Morgens riefen mich auf demselben Arbeitssaal 2 Franzosen und zeigten mir einen Rosenkranz, den sie sich aus kleinen Holzkörnchen und einer Schnur gemeinsam verfertigt hatten; auch ein kleines Kreuz war daran; eine wahre Geduldsarbeit muß das gewesen sein. Sie wollten den Rosenkranz gesegnet haben. In ihrem Eifer hatten sie dem Hosenkranz 6 Gesetze gegeben. Am nächsten Tag war der Fehler beseitigt, und der Hosenkranz konnte gesegnet werden. Vielleicht haben sie ihn gerettet und er wird für sie zu Hause ein kostbares Andenken sein.

Weil ich politischer Gefangener, war, und über 5 Jahre Strafe hatte, wurde ich in strenger Einzelhaft gehalten. Und das sollte 7 Jahre dauern. Täglich sah ich das vor meinen Augen. Auf der Zellenkarte nämlich, die in jeder Zelle am Spind angebracht war, stand: "Strafdauer: vom 23.11.1942 bis 22.06.1944, 18 Uhr". (Anl 2). Sooft ein Wachtmeister in die Zelle kam, mußte ich stramm stehen und melden, oder richtiger gesagt: schreien: „Strafgefangener R. wegen unwahren Behauptungen gegen die NSDAP mit 7 Jahren Zuchthaus bestraft" Im Zuchthaus in Werl mußte ich melden .."wegen Vorbereitung zum Hochverrat mit 7 Jahren Zuchthaus bestraft". So wurde ich immer wieder, manchmal öfter am Tag, an meine lange Strafzeit erinnert.

Die Einzelhaft sollte für mich eine besondere Strafe sein. Ich war am liebsten allein in der Zelle. Und doch war ich nicht allein. Gott und ich.. .Wandel in der Gegenwart Gottes. Hier in der Stille der Zelle lernte ich den vertrauten Umgang mit Gott; und so kam ein tiefer Friede in meine Seele, etwas von dem Frieden, von dem der Heiland spricht: "Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz bange nicht und verzage nicht (Joh. 14,27) Und so fühlte ich mich in meiner Zelle daheim - mit Gott. "In Gott ist still ergeben meine Seele; von ihm kommt meine Hilfe. Mein Gott ist er und mein Erretter; mein Hort, nicht werde ich wanken". (Ps 61,1) "Ich bin ja stets bei dir. Du hältst mich bei der Rechten- und führst mich nach deinem Willen". (Ps 72,22) Von diesen Gedanken war ich ganz erfüllt; und das gab mir meine geistige Haltung. Es ist wirklich so, wie einer aus dem KZ geschrieben hat: Alle Güter dieser Welt sind entbehrlich; nur Gott ist unentbehrlich. Alle Güter der Welt sind nichts. Gott ist alles. Gebt ihm Raum in euren Herzen. Dann ist alles gut; immer und überall".

Hl. Paulus, Wie wahr hast du gesprochen: "Gepriesen sei Gott, der Vater unsers Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und der Gott allen Trostes! Er tröstet uns in all unserer Bedrängnis, und so vermögen wir auch andern in jeglicher Bedrängnis Trost zu spenden, wie wir selbst von Gott getröstet werden. Denn wie Christi Leiden uns überreichlich zuteil werden, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil". (2 Kor. 1, 3-5)

Ich habe in meinem Leben gewiß schon oft das Vater unser gebetet, aber hier in der Zelle habe ich es erst richtig beten gelernt; hier in der Zelle, wo ich mich von allen verlassen und Gott so nahe fühlte, habe ich erst entdeckt, wie schön und inhaltsreich das Vater unser ist. Und eines Tages kam es mir wie ganz neu vor; ich erkannte es als "die Krone aller Gebete", wie Bischof Keppler es nennt. Es wurde mir zum liebsten Gebet. Und wenn manchmal die Zukunft so hoffnungslos vor mir aufstieg und ich keine Rettung mehr sah, und das Zuchthaus Endstation für mein Leben zu werden schien, dann fühlte ich mich gedrängt, das Vater unser zu beten; ganz langsam, mehr betrachtend. Es war nie umsonst. Immer fand ich das Wort des hl. Thomas bestätigt; "Vom Gebet des Herrn kehrst du nie ohne Frucht zurück". "Stets wenn ich mich fürchten muß, flieh ich zu dir" (Ps 55,3) - im Vater unser. Schon das Wort "Vater" wirkte so beruhigend und innerlich festigend. Da habe ich gelernt als Kind mit meinem Vater im Himmel zu sprechen. So mahnt auch der Catechismus Romanus bei der Erklärung des Vater unsers: „Wenn du dieses Gebet verrichten willst, so sei dir bewußt, daß du als Kind zu deinem Vater kommst". Ja, dieses Kindsein vor Gott! Auch das lernt man in der Leidensschule des Zuchthauses tiefer erfassen und ins tägliche Leben hineinzubeziehen. Wie oft hat mir der gute Zuchthauspfarrer Schulte gesagt: "Mein Gott, das Leben hier ist für Sie ja ein wahres Martyrium; wie können Sie das nur aushalten; Sie zeigen ja immer eine gewisse Heiterkeit". Und dann zitierte er ein Wort von Ernst Jünger: "Die Heiterkeit gehört zu den gewaltigsten Waffen, über die der Mensch verfügt; er trägt sie als göttliche Rüstung, in der er selbst die Schrecken der Vernichtung zu bestehen vermag". Das Vater unser, das Wissen um Gott als unserem gütigen Vater im Himmel und dieses Kindsein vor Gott hat mir dieses "Martyrium" erleichtert und dazu noch "Friede und Freude" geschenkt. "Ruf ich zu dir, erfahr ich stets aufs neue, daß du mein Gott bist". (Ps 55, 107)

Ich fühlte mich nie einsam; Gott ist bei mir. Ob auch andere diese Gottesnähe fühlten? Der Rasierer, der jede Woche einmal in die Zelle kam, sagte: "Wenn ich zu dir in die Zelle komme, dann meine ich, ich käme in eine Kirche". Ein andersmal meinte er: "Deine Zelle kommt mir vor wie ein stilles Klösterchen"; "Dagegen, wenn ich in die Zelle neben dir komme, dann meine ich, ich käme in eine Räuberhöhle". Selbst der Abteilungswachtmeister, der nie ein freundliches Wort fand, stand einmal in meiner Zelle und sagte so halb verlegen: "Ich weiß nicht, in ihrer Zelle ist es so ganz anders als bei den andern. Wie ist das nur? Ach so, sie sind katholischer Geistlicher." Diesmal ging er fort, ohne zu schimpfen. Und doch galt meine Zelle als unheimlich; nämlich kurz vorher hatte ein evangelischer Geistlicher sich darin aufgehängt. Am Tag zuvor hatte er noch einem Gefangenen, der lebensmüde war und Selbstmordgedanken bei sich trug, zugeredet, und ihm klargemacht, daß Selbstmord eine schlimme Sünde sei; und nun hat er die Last des Zuchthauses selbst nicht mehr ertragen. Armer Leidensgenosse! Die Gedanken, die dich quälten und bewegten, sind auch mir nicht fremd geblieben. Auch mir hat der Versucher - oder waren es die überreizten Nerven? - zugeflüstert: mach diesem Leben ein Ende. Andere mögen dich verurteilen; ich verurteile dich nicht. Ich kann dich verstehen und mich in deine Lage hineindenken« Ich werde im Gebet deiner gedenken.

Hier in der Zelle kam mir oft ein Kapitel aus der Dogmatik in den Sinn, nämlich die Lehre vom Wohnen Gottes in der Seele des Menschen. Unser Dogmatikprofessor gab sich Mühe, diese schwierige Lehre unserm Verständnis nahezubringen. Bisher kam sie mir als eine abstracte theologische Wahrheit vor, die wenig Bedeutung fürs religiöse Leben habe. In der Einsamkeit der Zelle kam mir das Verständnis dafür, insbesondere für ihre praktische Bedeutung im religiösen Leben.

Welch großen Trost und innere Freude gaben mir die Gedanken, die ich bei P. Pergmayr gelesen: "Mitten in mir und zuinnerst in meinem Herzen wohnt die ganze hl. Dreifaltigkeit mit all ihrer Glorie und Herrlichkeit, mit all ihrem Wesen und allen Vollkommenheiten, wie sie wohnt im Himmel. Was den Unterschied der Gegenwart Gottes im Himmel und in meinem Herzen anbelangt, so wohnt zwar jener unermeßliche Gott, der im Himmel wohnt, auch in meinem Herzen doch so, daß er sich im Himmel klar und unverhüllt von Angesicht zu Angesicht zu sehen gibt, in meinem Herzen aber unter dem Vorhang des Glaubens sich schauen läßt. Wenn dieser Vorhang hinweggzogen würde, sähe ich Gott in mir und hätte den Himmel auf Erden in meinem Herzen. Es ist da gegenwärtig Gott Vater, Gott Sohn und Gott der hl. Geist mit der ganzen göttlichen Natur und Wesenheit.

Wenn man so ganz arm geworden ist, sich von allen verlassen und verstoßen fühlt, wenn man täglich der Willkür roher Menschen preisgegeben ist und sich rechtlos weiß, wenn man immer wieder daran erinnert wird, daß man, wie dieser Gottlose in Dortmund mir sagte, ein Lump ist wie auch die andern Zuchthäusler, dann wird man hellsichtiger und feinfühliger für manche religiöse Wahrheiten. Dann bekommen religiöse Gedanken, innere Anregungen, die man früher wenig beachtet hat, auf einmal ganz großen Wert und erscheinen als unentbehrlich. Und man wundert sich, daß man bisher so blind daran vorbeigehen konnte. Zu diesen Wahrheiten gehört auch das Einwohnen Gottes in der Seele des Menschen. Diese beglückende Nähe Gottes, der Trost, die Kraft und die Ruhe, die davon ausgehen, kam mir hier so recht lebendig zum Bewußtsein. Und das Schriftwort: "Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Joh. 14,23) erschien mir ganz neu und ließ mich nicht mehr los. Trotz aller äußeren Armut fühlte ich mich innerlich reich. Immer mehr lockte mich der Wahlspruch des hl. Augustinus: "Gott und die Seele möchte ich erkennen. Nichts sonst? Nichts".

So manche Nikodemusstunde habe ich in meiner Zelle erlebt und in manches Herz mit seiner tiefen Not hineingeschaut. Ich habe gesehen, auch die, die sich gottlos nennen, kommen nicht von Gott los. Auch bei ihnen ist es so: "Wie Vöglein, die aus dem Neste gefallen, schreit unsere Seele nach Gott". Vielleicht hat Gott manchen von ihnen ins Zuchthaus geführt, damit sie ihn dort wiederfinden. Das Leid pflügt dort ihre Herzen um und schafft den rechten Boden für die Saatkörner Gottes. Wie mancher kommt da zu der Erkenntnis: "Hauptsache der Hauptsache ist, Ernst zu machen mit dem Dienste Gottes".

Eines Tages kam ich ins Gespräch mit einem Gottlosen. Er war als politischer Gefangener bereits 10 Jahre im Zuchthaus; schon zweimal hatte er seine Strafe verbüßt und war immer noch nicht entlassen; er hatte alle Hoffnung aufgegeben. Wir sprachen von unserer trostlosen Lage und von der Befürchtung, dass alle politischen Gefangenen umgebracht wurden. Und dann sagte, oder vielmehr schrie er es aus sich heraus: "Es ist zum Verzweifeln; ich armer Teufel habe nichts, woran ich mich halten kann. Du hast doch wenigstens deinen Herrgott; das gibt dir Halt und macht dich so ruhig; es wird mir nichts anders übrig bleiben, als auch wieder zu Gott zurükzukehren". Wie oft mag in den Zuchthäusern das unsterblich Augustinuswort seine Erfüllung finden: "Du hast uns auf dich hin geschaffen, o Gott; und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir". Ein anderer Gefangener gestand: "Ich muß dem Herrgott dankbar sein, daß er mich ins Zuchthaus geführt hat. Hier habe ich den Frieden mit Gott und mit mir gefunden; draußen, wäre ich verkommen oder wäre gar schon geköpft. Ich habe nur den einen Wunsch, daß ich später in einem Kloster als Bruder Gott dienen kann. Ich habe gefehlt; ich habe es auch gebüßt". Dass klang so ähnlich wie der hl. Augustinus einst gesprochen: "Deine Hand hat mich berührt, o Herr, ich bin entbrannt in Sehnsucht nach deinem Frieden". Ich mußte an das Wort denken: "0 felix culpa" und an einen Satz, den ich früher mal gelesen: "Jede Sünde und jedes Verbrechen hat seinen Platz in göttlichen Weltplan". Es ist nicht bloß eine Formel, wenn wir beten: "Der du lebst und herrschest". Es ist Wirklichkeit. Er lebt; er herrscht auch in den Zuchthäusern und Gefängnissen. Auch da sucht und findet der gute Hirt seine verlorenen und von der Welt aufgegebenen Schäflein.

Durch die Erlebnisse, die ich hier niedergeschrieben habe, soll nicht der Eindruck entstehen, als ob das Leben im Zuchthaus bei den Sträflingen allgemein eine innere Umkehr oder eine religiöse Erneuerung bewirke; bei manchen ja; bei vielen nicht. Jedenfalls waren die politischen Sträflinge, die eine große Anzahl der Gefangenen stellten, leichter dafür zugänglich als die kriminellen . Einer, der vor seiner Entlassung stand, bekannte: "Jetzt habe ich meine 5 Jahre Strafe herum; hier in diesem schrecklichen Bau ist nichts, was einen moralisch heben könnte; in die Kirche gehe ich nicht, und den Besuch des Geistlichen wollte ich nicht haben. Als Verbrecher bin ich her gekommen; als Verbrechen gehe ich wieder. Ein anderer: "Unter dieser ungerechten und brutalen Behandlung kann man sich nicht bessern". Ein Gegenstück dazu: einer, der etwas über ein Jahr im Zuchthaus war, sagte an Ostern nach dem Gottesdienst: "Das Zuchthaus ist für mich wie ein Exerzitienhaus". Im allgemeinen kann man sagen, es geht dort so wie auf dem Kalvarienberg; der eine hört auf den Ruf der Gnade und der andere nicht der eine bekehrt sich der andere nicht und lästert Gott.

Furchtbar waren für uns Gefangene die Fliegerangriffe. Bei Vollalarm wurden jedesmal die Zellen abgeschlossen und abgeriegelt. Die Aufsichtsbeamten gingen in den Bunker und überließen die Gefangenen ihrem Schicksal. Man hatte den Eindruck, die Gefangenen sollten auf diesem Weg beseitigt werden. Wenn neue Gefangene kamen, war gewöhnlich eine der ersten Fragen, ob unser Bunker bombensicher sei. Wenn sie dann hörten, daß es für uns keinen Bunker gebe, und daß wir in den verschlossenen Zellen bleiben müßten, waren sie ganz mutlos. Ich mußte alle Fliegerangriffe im Zuchthaus in Münster, Essen und Bochum im 3. und 4. Stockwerk mitmachen. Beim Großangriff auf Münster am 5.Oktober 1944, bei dem das Zuchthaus in Brand geworfen wurde, bin ich in meiner Zelle beinahe lebendig verbrannt. Die Flammen schlugen von dem Hof her, wo sich ein Bretterlager befand, ins 4.Stockwerk hinein; Phosphor und Öl trieben sie immer wieder von neuem hoch. In meiner Zelle brannte vor mir das Fenster, hinter mir brannte die Zellentür; über mir das Dachgebälk. Fast mußte ich ersticken inmitten der schweren schwarzen Hauchwolken. Ich sah den Tod vor Augen, entweder durch Verbrennen oder Ersticken. Noch nie habe ich die Gegenwart des hl. Schutzengels so gefühlt wie in dieser furchtbaren Stunde. Ich möchte sagen, bis jetzt habe ich geglaubt, daß ich einen Schutzengel habe; jetzt weiß ich es; ich habe ihn erlebt. "Seinen Engeln hat er deinetwegen befohlen, dich zu behüten auf allen deinen Wegen". (Ps 90,11). An diesem Morgen habe ich es buchstäblich erlebt: "Deine Worte, o Herr, sind bewährt im Feuer". (Ps 17,33)

Bei den schweren Fliegerangriffen habe ich stets an meiner Schnur den Rosenkranz gebetet, und wenn der ganze Bau , insbesondere das 4, Stockwerk hin und her schwankte wie ein Baum und ich das Dachgebälk krachen hörte, daß man meinte, es müsse jeden Augenblick zusammenstürzen und werde alles unter den Trümmern begraben, dann flüchtete ich mich in meine Psalmen: "Meine Seele flieht zu dir. In deiner Flügel Schatten berg ich mich, bis die Gefahr vorüber ist". (Ps 56,2) Und jedesmal habe ich die Kraft des Gotteswortes erfahren. Wie tröstend und beruhigend war es, wenn ich betete: "Du, Gott, bist unsere Zuflucht, unsere Stärke, der Helfer in den Nöten, die uns hart bedrängen. Drum fürchten wir uns nicht, wenn auch die Erde wankt, wenn auch die Berge jäh im Meer versinken. Aufrauschen, schäumen mögen seine Wogen, ob seiner Brandung Wucht die Berge zittern. Der Herr der Engelscharen ist mit uns; und Jakobs Gott ist unser Schirmherr". (Ps 45,1-3) Manchmal war es auch so, daß ich die Psalmworte nicht mehr zusammenbrachte, dann konnte ich nur mehr stammeln: "de profundis"..."Aus Abgrundtiefen schrei ich, Herr, zu dir; o Herr, erhör mein Rufen". (Ps 129). Oder noch kürzer: "Kyrie eleison",... Mit jedem Fliegerangriff wuchs mein Vertrauen und meine Liebe zu den Psalmen. "Das ist mein Trost in meinem Elend, daß mich dein Wort belebt". (Ps 118,50)

6. Im Gefängnis in Bochum und Essen. Oben

Das Zuchthaus in Münster war durch Bomben so stark beschädigt, daß die Gefangenen nicht mehr sicher genug verwahrt werden konnten; darum kamen wir ins Zentralgefängnis in Bochum. Dort verblieb ich nur einige Tage und kam dann weiter ins Gefängnis in Essen. Ich wurde einem "Bombenkommando" zugeteilt. Wir mußten zuerst bei Krupp, dann in Essen-Stadt Bomben-Blindgänger ausgraben und unschädlich machen. Das war durch die Erdarbeiten eine schwere und dazu eine sehr gefährliche Arbeit. Viele haben dabei ihr Leben verloren. Es wurde uns dafür keinerlei Vergünstigung gewährt. Wir wären schon zufrieden gewesen, wenn man uns bei der kalten und nassen Witterung — es war November und Dezember - anstatt der Holzsandale Schuhe oder wenigstens Strümpfe gegeben hätte; oder wenn wir unser nassen Kleider hätten trocknen können. In den Zellen war keine Heizung, und so mußten wir immer dieselben nassen Kleider anziehen. Bitter war es für uns, wenn wir mehrmals im Regen auf der Straße stehend das Mittagessen einnehmen mußten. Unterkunftsmöglichkeit war genug vorhanden. Gerne hätten wir uns, nachdem wir den ganzen Morgen schwer gearbeitet hatten, für eine halbe Stunde hingesetzt, um essen zu können; aber wir waren ja Sträflinge.

Am 12. Dezember 44 wurde das Gefängnis in Essen durch Bomben vollständig zerstört. Die Zellen waren wie gewöhnlich beim Vollalarm abgeschlossen und zugeriegelt. Mehr als 250 Gefangene lagen tot unter den Trümmern; die meisten mit Lungenriss, etwa 50 waren am Leben geblieben. Gleich die ersten Bomben fielen ins Gefängnis, Bombenteppiche und Luftminen. Es war so furchtbar, wie es Ps 17.9 schildert: "Mit einem Mal wankte die Erde und erbebte; der Berge Wurzelgründe fingen an zu zittern, vor seinem Groll begannen sie zu schwanken. Rauchwolken stiegen auf bei seinem Zorn und fressend Feuer flammte von ihnen aus; wie glühend Kohlen sprühte es von ihm“. Ich lag unter den Trümmern; ich blieb ganz ruhig. Da erlebte ich zutiefst, was es heißt, "geborgen sein in Gott". "Auch wenn ich wandeln muß in Todesschatten, kein Unheil fürchte ich, du bist bei mir". (Ps 22, 4) Nur weil ich im Gefängnislazarett war, bin ich dem sichern Tode entgangen. Meine Kameraden vom Bombenkommando waren alle tot, bis auf zwei, die im Lazarett lagen. Meine Zelle war schwer beschädigt; die Inneneinrichtung zertrümmert; durch den ungeheuren Luftdruck war die schwere Zellentür aus der Mauer herausgerissen und lag am Boden. Ich selbst lag unter den Trümmern und war bewußtlos; ich hatte eine Gehirnerschütterung und mehrere Quetschungen; dazu waren mir die Haare versengt. Als ich wieder zu mir kam, schleppte ich mich in eine andere Zelle und ließ mich aufs Bett fallen. Ich war so schwach, daß ich beinahe nicht über die Tür, die vor meiner Zelle lag, hinweggekommen wäre, ich konnte nur um sie herum kriechen. Gleich war ich wieder bewußtlos. Und als ich morgens erwachte, merkte ich, daß ich die ganze Zeit auf Glasscherben gelegen hatte. Gegen alles Erwarten fand man mich unter den Lebenden. In dieser Nacht habe ich den Ps 90 erlebt "Mit seinen Fittichen beschirmt er dich, und unter seinen Flügeln bist du wohl geborgen". (Ps 90,4)

7. Wieder zurück nach Bochum. Oben

Das Gefängnis in Essen bestand nun nicht mehr. 2 Tage lebten wir zwischen Toten und Trümmern. Dieser Zustand war unhaltbar, und so wurden wir am 14. Dezember 44- ins Zentralgefängnis in Bochum, das schon ohnehin überfüllt war, abtransportiert. Damit begann für mich die schlimmste Zeit.

Das Essen war schlecht und wurde mit jedem Tag schlechter. Manchmal stand ich vor meinem Spind und suchte, da es mir vor Hunger ganz elend war, nach Brotkrumen. Jedes Krümelchen Brot wurde sorgfältig von Tisch und Boden aufgelesen. Mehr als einmal habe ich mein Brot mit gefalteten Händen gegessen. Ich weiß jetzt, warum der Heiland uns beten lehrte: "Unser tägliches Brot gib uns heute" Brot war für uns der Wertmesser für alles. Geld hatte für uns keinen Wert. Brot kostete es, wenn man sich heimlich Zigaretten, Tabak Bleistifte und andere Dinge beschaffen wollte. Man fühlte sich reich, wenn man eine Scheibe Brot im Spind hatte; und erst zwei oder gar drei Scheiben Brot ! Ich hatte einmal sogar vier Scheiben Brot zusammengespart, um eine kleine Reserve zu haben; aber die Freude dauerte nicht lange. Bei einer Spindrevision wurden mir die 4 Scheiben weggenommen, "damit ich mir keinen Proviant für einen Fluchtversuch sparen könnte". Umso wertvoller kam mir von da an das Brot vor.

Die Behandlung vonseiten der Wachtmeister kann ich nur brutal nennen. Ich arbeitete mit etwa 50 Mann auf einem schlecht geheizten Saal und mußte Lederschnallen und Feldflaschenbezüge nähen. Als ich einmal das vorgeschriebene Tagespensum nicht fertig brachte, wurde ich zur Strafe vom Arbeitssaal weg in eine Einzelzelle gesperrt. Es war bitter kalt (Januar). Die Fensterscheiben fehlten, und der Wind wehte den Schnee zur Zelle hinein; keine Heizung. Die Hände waren mir steif vor Kälte. Als ich mich darüber beklagte, schrie mich der Wachtmeister an: "Die Hände sollen ihnen abfallen, die Knochen sollen ihnen abfallen, gerade ihnen als kath. Geistlicher. Sie bleiben hier in der kalten Zelle, wenn sie auch kaputt gehen". Die Beleuchtung bei der Arbeit war sehr schlecht; und als ich einige beschwerten, wurde ihnen geantwortet: "Ihr müßt bedenken, ihr seid Strafgefangene; ihr müßt mit allem, auch mit dem Licht bestraft werden". Er hatte recht, man hat uns mit allem bestraft. Einige Beamte waren darin geradezu erfinderische. Zu einer "ungewohnten Zeit wurde meine Zelle aufgeschlossen. Ein Beamter stand da und hielt mir ein Stück Brot hin. Als ich danach greifen wollte, zog er es rasch zurück, lachte mich aus und sagte: "ich glaube es schon, daß Sie es essen würden". Und noch auf dem Flur setzte er sein rohes Lachen fort. Er hatte keine Gelegenheit seine "Heldentat" zu wiederholen; denn einige Tage später kam er auf dem Weg zum Gefängnis durch eine Bombe um.

Die Zellen waren wenig, oft gar nicht geheizt. Normalerweise waren die Zellen bestimmt für einen Mann; aber sie waren mit 3, oft mit 4 Mann belegt. Längere Zeit lag ich mit einem Doppelmörder zusammen. Viel waren wir vom Ungeziefer geplagt. Wir mußten auf der Erde (Zementboden) auf einer dünnen Matratze schlafen. Es war kein Leben mehr, vielmehr ein langsames Dahinsiechen, ein beständiges Hungern und durch die dauernden Fliegerangriffe ein Warten auf den Tod. Oft kam mir der Psalmvers in den Sinns "Nur deinetwegen tötet man uns täglich und werden wir dem Schlachtvieh gleichgeachtet". (Ps 43,24)

In diese schweren Tage fiel der 25. Jahrestag meiner Priesterweihe. Am 2O. März hätte ich mein silbernes Priester Jubiläum feiern können. Ein silbernes Priesterjubiläum unter solchen Umständen war bitter und doch voll Gnade. Ich hielt diesen Tag als Jubiläumstag so gut es ging. Ich konnte zwar nicht die hl. Messe feiern; aber ich konnte doch aus dem Schott die Messgebete beten. Auch hatte ich eine Jubiläumspredigt. Ich fand sie in den Worten des Introitus: "Harre auf den Herrn; handle als Mann; sei starken Herzens; hoffe auf den Herrn. Der Herr ist mein Licht und mein Heil; wen sollte ich fürchten. Du verlassest keinen, der dich sucht". (Messgebete vom Dienstag nach dem Passionssonntag) Diese Worte waren genau das, was ich brauchte. Sie kamen mir vor wie eine kurze Predigt, gehalten von Gott selbst. Immer wieder habe ich an diesem und an. den folgenden Tagen diese Worte überdacht; sie gaben mir Trost und Freude und neue Kraft. Ich ahnte nicht, wie sehr ich eine Woche später diese Sorte brauchen sollte.

8. Der Genickschuß. Oben

Am 27. März 45 kam plötzlich der Befehl zur Räumung des Gefängnisses in Bochum. Wir sollten vor den Amerikanern in "Sicherheit" gebracht werden; und zwar sollte der Transport mit der Bahn bis in die Nähe von Celle in Hannover erfolgen. Der Zug kam nicht weit. 1/4 Stunde waren wir gefahren, da gab es Vollalarm; und schon gleich griffen die feindlichen Flieger unsern Transportzug im Tiefflug an. In mehreren Wellen brausten sie über den Zug hinweg und kamen immer wieder, beschossen uns mit ihren Bordwaffen und warfen Bomben. Es gab eine Anzahl Tote und Verwundete; mehrere Waggons standen in Flammen. Der Zug konnte nicht mehr weiter fahren; und so wurden wir wieder ins Gefängnis zurückgebracht.

Zwei Tage später, am 29. März abends, wurde auf dem Flur das Kommando gegeben: "Alles antreten; 1 Decke und Eßnapf mitnehmen". Große Aufregung unter den Gefangenen. Jeder fragte sich, was wird jetzt kommen? Es sickerte durch, wir sollten 5 Tage marschieren, um in ein KZ gebracht zu werden; andere wollten wissen, der Transport gehe an die Nordsee. Wir ahnten nichts Gutes; manche befürchteten das Schlimmste. Sie fürchteten, es werde unser Todesmarsch, oder wir würden ein Opfer der Maschinengewehre. Einzelne sprachen die Vermutung aus, wir würden auf ein Schiff gebracht und im Meer versenkt, wenigstens die "Schwerverbrecher" d.h. die Strafgefangenen, die über 5 Jahre Zuchthaus hatten; diese sollten ja nach einen Wort Hitlers "ausgemerzt" werden. Ich sagte meinem Nebenmann, der ganz aufgeregt war: "Mag kommen, was will; wir stehen in Gottes Hand". Ich muß gestehen, ein unheimliches Gefühl kam auch über mich; ich fühlte "die Bedrängnis naht; und niemand ist, der hilft" (Ps 21,11. Der Geschützdonner von der nahen Front, das Motorengeräusch der Flugzeuge, dazwischen Flackfeuer, der Feuerschein brennender Dörfer und Städte, die Aufregung unter den Wachtmeistern, die sich, an diesem Abend noch brutaler zeigten — einer schlug mir mit der Faust ins Gesicht; wahrscheinlich wußte er selbst nicht, warum - das "geregelte Durcheinander" beim Aufstellen der Gefangenen im Halbdunkel des Gefängnishofes, die angstvollen Fragen und Blicke der Gefangenen, all das ergab eine eigenartige Atmosphäre. Wir atmeten auf, als wir den Gefängnishof hinter uns hatten; einige Gefangene hatten schon erlebt, daß bei ähnlichen Gelegenheiten Maschinengewehre bereitstanden und in Tätigkeit traten. Wie ich später von einem Augenzeugen hörte, sind im Gefängnis in Dortmund beim Abtransport der Gefangenen eine Anzahl erschossen worden, weil auf dem Lastauto kein Platz mehr war. Aus tiefstem Herzen betete ich "O Gott, in deinen Händen liegt mein Schicksal; in deinen Händen laß auch meinen Willen sein". Schon oft hatte ich so gebetet, aber noch nie so ernst wie heute. Ja, mein Schicksal lag in seinen Händen. Eine Stunde später sollte ich es erleben.

Seit einigen Tagen war ich krank; der Arzt hatte mich arbeitsunfähig geschrieben und Bettruhe verordnet. Ich konnte darum nicht so rasch marschieren wie die andern und nicht in Reih und Glied bleiben. Daraufhin wurde ich von 2 Wachtmeistern geschlagen, getreten, auf die Erde gestoßen, dann wieder hochgerissen; so haben sie mich 1/2 Stunde lang in der schlimmsten Weise mißhandelt. Ich kniete mich auf der Straße vor sie hin und bat sie, doch etwas menschliches Gefühl zu haben; wie besessen schlugen sie auf mich ein und gaben mir aufs neue Fußtritte. Die Brille rissen sie mir ab, warfen sie in den Straßengraben und schrieen mich dabei an: "Die brauchst du ja doch nicht mehr". Sie packten mich an den Haaren, um mich von der Erde hochzuziehen, und schleiften mich hinter sich her. Als ich nicht mehr aufstehen konnte, nahm einer mein Brot - Marschverpflegung, etwa 4 - 5 Pfund schwer - und schlug es mir, während ich auf der Straße lag, mehrmals auf den Kopf, daß ich meinte, der Kopf müßte auseinander springen. Die Schläge trafen mich um so heftiger, da er mit beiden Händen, das Brot gepackt hatte, und zuschlug. Ein Glück, daß sie den Karabiner nicht bei sich hatten, sonst hätten sie mich bestimmt totgeschlagen. Sie suchten nach einem festen Gegenstand, vielleicht auch nach Steine: um damit auf mich zu schlagen; aber zum Glück lag nichts derartig auf der Straße. Eine Militärstreife von 3 Mann, die vorbei kam blieb stehen und fragte: "Ist das ein Russe, den ihr so schlagt"? Da die Streife stehen blieb, hörten sie mit dem Schlagen auf.

Ich erkannte, daß meine letzte Stunde gekommen war; auf der Straße sterben müssen, so ganz allein, in Sträflingskleidern, ohne Sterbesakramente, und dann irgendwo verscharrt werden, das war unendlich schwer.

Aufrecht, eines Christen würdig, wollte ich in den Tod gehen. Ich fand die Kraft dazu in dem Gedanken: "Herr, dein Wille geschehe“. Es war ja Gründonnerstagabend. Und der Wille des Herrn sollte geschehen - nicht der Wille der beiden, in deren Händen ich war.

Die beiden Wachtmeister sahen ein, daß ich nicht mehr weiter kam. Der Wachtmeister Br.- er war mein Abteilungswachtmeister in dem Gefängnis; 4 Monate war ich auf seiner Abteilung - hatte die Pistole in der Hand und sagte zu dem andern: "Das ist einer von den schwarzen Brüdern; ich kenne ihn; der muß fort; ich befördere ihn zu Petrus. Gehen Sie und melden: auf der Flucht erschossen". Noch einmal lassen sie ihre bestialische Wut an mir aus; es schien fast so, als ob der Gedanke, einen katholischen Priester quälen zu können, ihre Wut auf die Spitze getrieben habe. Br. schleppte mich dann, während der andere Wachtmeister dem Gefangenenzug nachging, um die Meldung zu machen: "auf der Flucht erschossen", in eine Nebenstraße und dann ca. 15 m weit auf ein freies Feld. Er stieß mich in eine Vertiefung (Bombentrichter?) und gab unmittelbar hinter mir stehend aus seiner Dienstpistole den Genickschuß. Es war ein glatter Halsdurchschuß; der Einschuß lag dicht an der Wirbelsäule. Eine Röntgenaufnahme in der Universitätsklinik in München ergab, daß die Kugel den Querfortsatz des 7 Halswirbelknochens durchschlagen hatte; dazu eine Spondylosis zwischen dem 5 und 6 Halswirbel. Bei der ersten amtsärztlichen Untersuchung wurde festgestellt: Parese der linken Körperseite, Verletzung des Rückenmarks, Lähmung der rechten Seite des Kehlkopfs.

Ich fühlte, wie er mir die Pistole auf den Nacken setzte und die richtige Stelle suchte. Beim Schuß fiel ich sofort aufs Gesicht und verlor das Bewußtsein. Mein letztes Wort war: "Ich verzeihe Ihnen". Ich hatte mir vorgenommen, wenn ich vom Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet würde, oder wenn ich von der Gestapo umgebracht würde, sollte mein letztes Wort sein: "Es lebe Christus der König". So waren ja viele in Spanien und Mexiko in den Tod gegangen. Aber der Schuß fiel eher, als ich erwartet hatte. Ich konnte es nur noch denken: "Es lebe Christus der König"; rufen konnte ich es nicht mehr.

Mein letzter Gedanke galt meiner Pfarrei. Ich sah das Dorf vor mir, und wie die Leute in der Gründonnerstagabend-Andacht waren. Ich hörte sie beten, und singen: "Beim letzten Abendmahle". Dann schwanden mir die Sinne. Ich war nicht aufgeregt, habe mich nicht gewehrt, war nicht traurig gestimmt. Ich war ganz ruhig und eher froh gestimmt. Ich sagte mir: "Es geht jetzt heim zu Gott; heim ins Vaterhaus; und dann hat alles Leid ein Ende".

Bei dem ganzen Vorgang war es mir so, als ob ich nicht allein wäre; ich fühlte die Nähe eines andern, und einmal schaute ich auf die Seite, um den andern zu sehen. Ganz klar stand vor mir die Erkenntnis, dein Schutzpatron, der hl. J o s e f ist bei dir.

Wie lange ich bewußtlos da gelegen habe, weiß ich nicht. Durch den Anruf "steh auf, es geht" kam ich zu mir. Es war kein Anruf vor außen, sondern mehr von innen; ich hörte, oder besser gesagt, ich erkannte den Anruf klar und deutlich. Gleichzeitig kam mir die Erkenntnis, dein Schutzpatron, der hl.Josef, hilft dir. Das gab mir Mut und eine bisher unbekannte Kraft. Ich versuchte aufzustehen; dabei überkam mich eine unheimliche Schwäche und fiel wieder hin. Es wurde mir totschlecht, sodaß ich meinte es ging zu Ende. Allmählich kehrte das Gefühl im Körper wieder zurück, und es setzten nun die Schmerzen ein, besonders an der Schußwunde. Der ganze Körper kam mir durch die Mißhandlungen vor wie eine große Wunde. Ich versuchte nun nochmals aufzustehen und konnte mich aufrecht halten. Da sah ich in der Nähe eine Kirche. Ich sagte mir, da muß auch ein Pfarrhaus sein; da mußt du hin. Dieser Gedanke gab mir Mut und Hoffnung auf Rettung. Ich schleppte mich übers Feld auf die Straße zu und tastete mich in der Dunkelheit an den Trümmern der Häuser vorbei auf die Kirche hin. Ich fühlte, wie das Blut aus der Wunde heraus tropfte, und wie die Halsbinde vom Blut ganz feucht war. Es wurde mir wiederholt schlecht; eine kurze Pause und einige tiefe Atemzüge, dann ging es ein paar Schritte weiter. Ich fühlte, daß ich am Ende meiner Kraft war. Ich lag am Straßenrand - wahrscheinlich in der Straßenrinne - und war am verbluten. Panzer, Lastkraftwagen, Motorräder rasten vorbei; wie leicht hätten sie mich überfahren können! Doch: "wo die Not am größten, ist Gott am nächsten". Nämlich ein Junge, der aus den Trümmern herauskam und beinahe über mich gestolpert wäre, sah mich so da liegen. Sofort sprach er mich an; ich bat ihn, mich ins Pfarrhaus zu bringen. Er brachte mich in ein Kloster; es war das Altersheim in Altenbochum. Die Schwestern machten mir sofort einen Verband und riefen den Geistlichen. "Lieber Herr Confrater", so begrüßte, er mich, "ich kann leider für Sie nichts tun; ich muß Sie sofort der Polizei melden". Als ich diese Worte hörte, war es mir, als ob ich in der Tiefe versinken würde und verlor das Bewußtsein. Ich empfing die hl. Ölung. Weil ich mit Bestimmtheit glaubte, daß ich sterben würde, teilte ich dem Pfarrer den Hergang in ganz kurzen Worten mit und bat ihn, der Bischöflichen Behörde in Trier und meiner Schwester Mitteilung zu machen. Zwei Polizeibeamte waren auf den Telefonanruf des Pfarrers bald zur Stelle und wollten mich verhören. Sie stellten das Verhör bald ein, weil sie glaubten, einen Sterbenden vor sich zu haben. Anfangs wollten sie mich gleich mitnehmen - ohne Auto; ob sie meinten, ich könnte den Weg zur Polizei zu Fuß zurücklegen, weiß ich nicht. Jedenfalls hatten sie keine gute Absicht; denn einer sagte: "Nur fort mit dem Lump". Dem Bemühen des Pfarrers, mich ärztlicher Behandlung zuzuführen, gaben sie schließlich nach und ließen ein Auto kommen, das mich ins St. Josef-Hospital in Bochum bringen sollte, da es mit mir doch zu Ende gehe. In der Nacht gegen 12 Uhr kam ein Sanitätsauto und brachte mich nach Bochum; aber nicht ins Josefshospital, sondern wieder - ins Gefängnis. Während der ganzen Fahrt war ich bewusstlos.

9. Wieder im Gefängnis in Bochum. Oben

Nun war ich also wieder im Gefängnis in Bochum. Zuerst merkte ich es nicht. Als es mir aber zum Bewußtsein kam, empfand ich eine grenzenlose Enttäuschung. "Gott hat dich verlassen"; ähnliche Gedanken quälten mich. Wahrscheinlich war es für mich doch ein Glück, daß ich ins Gefängnis zurückgebracht wurde; denn wenn ich ins Josef-Hospital gekommen wäre, hätte das Hospital sofort der Polizei = Gestapo Mitteilung machen müssen. Und die hätten mich nach menschlichem Ermessen wahrscheinlich umgebracht, um den Mordversuch zu verheimlichen, zumal die Amerikaner vor Bochum standen.

"Was Gott schickt, das ist wohlgemeint,
 und wenn`s auch, anfangs nicht so scheint.
 Wodurch man uns zu schaden denkt,
 wird uns von Gott zum Heil gelenkt".

Ich muß im Gesicht schlimm ausgesehen haben, sodaß der Sanitätswachtmeister im Gefängnislazarett etwas Mitleid zeigte, als er mich auf der Bahre liegen sah. Auf seine Frage, was mit mir passiert sei, gab ich wahrheitsgemäß zur Antwort: "Zwei Wachtmeister haben mich mißhandelt, und der Wachtmeister Br. hat mir einen Schuß ins Genick gegeben". Da schrie er mich an: "So mißhandeln die Wachtmeister keinen Gefangenen; machen Sie mir nichts vor, Sie waren auf der Flucht, und haben so den Schuß bekommen". Er war so in Aufregung, daß ich glaubte, er würde sich auf mich stürzen. Vielleicht war er auch verärgert, da er in der Nachtruhe gestört worden war. Ich sagte nun nichts mehr, zumal mir der Mund immer mehr steif wurde. Ich wurde in eine große Zelle gebracht, in der noch neun kranke oder verletzte Gefangene waren. Sie warfen mich aufs Bett; keiner kümmerte sich um mich, die andern Gefangenen schliefen weiter. Ich brauchte auch keine Hilfe, da ich gleich das Bewußtsein verlor.

Ich schwebte zwischen Leben und Tod; dazu die Angst, der Wachtmeister, der mir den Genickschuß gegeben, oder andere würden mich umbringen. Eine Spritze oder eine Tablette hätten, ohne daß es aufgefallen wäre, genügt, und der Mörder hätte sein Ziel doch erreicht. Der Wachtmeister, der mir, den Schuß gegeben, hat im Bau neben dem Lazarett Dienst getan; er wußte nicht, daß ich noch am Leben war. Immer meinte ich, wenn die Zellentür aufgeschlossen wurde, er käme herein. Es war eine wahre Leidenszeit, diese vier Wochen im Gefängnislazarett. Ein schlechtes, hartes Bett, keinerlei Erleichterung. Die linke Seite war fast ganz gelähmt. Ich mußte ganz ruhig liegen, konnte den Kopf nicht bewegen und mich nicht aufrichten; dazu schmerzten die Wunden und geschwollenen Stellen am ganzen Körper, die von Mißhandlungen herrührten. Tagelang kam geronnenes Blut durch Mund und Nase; der Kopf war mir so schwer und ich war vor Schmerzen wie betäubt. Ganz hilflos lag ich da und eine Schwäche folgte der andern. Kein Schlaf. "Herr, erhöre mich, ich rufe laut zu dir; erbarme dich meiner und erhöre mich"; (Ps 26,12) so betete ich oft in den langen schmerzvollen Nächten. Da lernte ich den Psalmvers verstehen: "Da schrie ich auf zum Herrn in meiner Not; schrie auf zu meinem Gott". (Ps 17,7) Heute danke ich Gott, daß ich diese Not durchgemacht habe. Weder Medizin noch schmerzstillende Tabletten, noch ein Schlafmittel gab es für mich; wohl aber für nichtdeutsche Gefangene.

Das Essen bestand aus schwarzem Kaffe, aus 1 oder an manchen Tagen 2 dünnen Scheiben Brot und schlechten Pellkartoffeln; sonst gab es nichts. Die ersten Tag konnte ich nichts essen, da ich den Mund nur ganz wenig öffnen konnte. Zwei Schneidezähne im Oberkiefer hatten sie mir eingeschlagen; durch diese Lücke drückte ich kleine Stückchen von den Pellkartoffeln hindurch und ließ sie langsam im Munde vergehen. Brot konnte ich nicht essen, da es mir in der Speiseröhre stecken blieb und Husten verursachte, was die ohnehin schon unerträglichen Schmerzen noch steigerte.

Nur zweimal bin ich verbunden worden. Der Gefängnisarzt war geflüchtet; er hatte Grund dazu. Ein Mitgefangener, ein holländischer Arzt Dr. Andersen, behandelte mich etwas. Ein kranker Gefangener, im Zivilberuf Polizeioffizier, erbarmte sich meiner, machte mein Bett und half mir, so gut er konnte.

Jeden Augenblick konnten wir ein Opfer der Beschießung werden. Tagelang heulten die Granaten über uns hinweg, schlugen auch öfter neben dem Gefängnis ein. Jeder Abschuss der schweren deutschen Geschütze, die in der Nähe des Gefängnisses standen, waren für uns Kranke und Verletzte eine neue Qual. Die Gehfähigen konnten in den Keller gehen; wir Schwerverletzten mußten in den Betten bleiben; mehr als einmal schrieen wir auf, weil wir glaubten, die Granate würde in unsern Bau einschlagen.

Einmal war ich für eine Stunde eingeschlafen; und als ich wach wurde, kam mir aus der Bibel der Satz in den Sinn: "Fürchte dich nicht vor dem, was du zu leiden hast". (Geh.Offenb.2,10) Dieser Satz wirkte unendlich beruhigend und tröstend auf mich; er war für mich für die nächsten Tage mehr wert als jede Medizin.

Noch etwas quälte mich sehr; ich fürchtete nämlich, die Sprache zu verlieren und auf der linken Seite, zum mindesten aber am linke Arm gelähmt zu bleiben.

Am 8. April besetzten die Amerikaner Bochum. Vor dem Gefängnis standen nun amerikanische Posten. Von jetzt ab waren wir unter der Schutz der amerikanischen Armee. Ich brauchte nun keine Angst mehr zu haben, daß ich heimlich umgebracht würde. "Den Herrn habe ich gesucht, und er erhörte mich; aus allen meinen Ängsten riß er mich heraus". (Ps 33,4)

Als ich etwas aufstehen konnte, bat ich den San.-Wachtmeister um eine Krücke; sie wurde mir verweigert. Auch konnte ich keinen Stock bekommen, obwohl ich mehrmals darum gebeten habe. Ein Mitgefangener, ein Elsäßer, der sich mit seinen französischen Zellengenossen nicht gut vertrug und mir oft sein Leid klagte, machte mir aus einem Schrubberstiel einen Stock mit Krücke; dafür gab ich ihm mein Essen, obwohl ich selbst Hunger hatte. Ich war glücklich, daß ich wieder etwas gehen konnte, wenn es auch anfangs schlecht ging und viel Schmerzen machte. Zuerst konnte ich mich nur durch Hin- und herwenden des rechten Fußes vorwärts schaffen, während ich das linke Bein nicht benützen konnte. Auch machte ich Drehübungen mit Kopf und Rumpf, was mir im Anfang nur schlecht gelinge wollte, weil der Nacken steif war.

10. "Einmal kommt doch die Erlösung". Oben

Ich fühlte, daß ich von Tag zu Tag schwächer wurde. Infolge der Unternäherung wog ich noch 87 Pfund. Ich war buchstäblich nur mehr Haut und Knochen, sodaß mir ein Gefangener sagte: "Ein solche Skelett wie dich, habe ich noch nicht gesehen". Einer sagte mir ins Gesicht: "Es ist unmöglich, daß du am Leben bleibst". Ich wußte, die andern gaben mich für verloren; ich merkte es aus ihren Gesprächen und Bemerkungen. Ich gab die Hoffnung nicht auf. Ich mußte versuchen, aus dem Gefängnis herauszukommen. Und so richtete ich - es war am Schutzfest des hl. Josef - ein Gesuch an die amerikanische Besatzungsbehörde um Entlassung aus dem Gefängnis; aber in diesen Tagen wurde kein Gefangener entlassen. Die ausländischen Gefangenen sollten zuerst entlassen werden, aber wegen der bestehenden Transportschwierigkeiten erst in einem Monat; dann erst sollten die deutschen Gefangenen an die Reihe kommen. Dann wäre es für mich zu spät gewesen. Sollte ich denn jetzt, wo die Rettung so nahe schien, an Unterernährung zugrunde gehen? Ich sagte mir, der Herrgott hat mich an jenem Gründonnerstag gegen alle Hoffnung gerettet; er wird mir auch diesmal helfen. Aber wie? "Auf wen sollt ich noch bauen, Herr, wenn nicht auf dich? Mein ganzes Dasein ruht auf dir". (Ps 38,11)

Ich legte meine Sorgen und mein Anliegen vertrauensvoll in die Hände des hl. Josef; wir standen ja in der Oktav vom Schutzfest. Schon war die Hilfe auf dem Weg, und ich wußte es nicht. Wahrhaftig: "Du bist zur rechten Zeit der Helfer in der Not".

Und woher kam die Hilfe? In den letzten Tagen hatte sich an der Halsschlagader, die durch den Schuß "angeschlagen" war, ein Aneurysma gebildet. (Aneurysma = Verdickung). Da ich die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, meldete ich es Dr.Andersen; er rief einen belgischen Professor der Medizin, der als Gefangener in einem andern Bau war, herbei. Beide untersuchten mich, und beide stellten ein Aneurysma fest. Sie hielten eine sofortige Operation für erforderlich; aber wo sollte die Operation gemacht werden? Durch Gottes Fügung - so muß es schon gewesen sein - kam an diesem Morgen zum ersten Mal seit 5 Wochen ein Arzt - Dr. Frank - aus der Stadt ins Gefängnis, um nach den Kranken zu sehen; auch er hielt eine Operation für notwendig und zwar am gleichen Tage. Er ging sofort auf das Gefängnisbüro, um von der Besatzungsbehörde die Erlaubnis zu erhalten, daß ich in ein Krankenhaus gebracht werden sollte. Und so wurde ich am 25. April, am Oktavtag des Schutzfestes des hl. Josef, gegen alles Erwarten aus dem Gefängnis herausgeholt und ins St. Josef-Hospital in Bochum gebracht. Ich sollte am gleichen Tage an der Halsschlagader operiert werden. Aber der Chirurg sagte, er könne die Operation nicht wagen, weil ich zu schwach sei; ich müsse mich erst einige Wochen erholen. "Noch einige Wochen oder gar noch einige Tage im Gefängnis", so sagte er, "ihr Leben wäre, ganz abgesehen von dem Aneurysma, erloschen wie eine Kerze".

Der hl. Josef hat ein zweites Mal geholfen; das ist meine fest Überzeugung, Es wird wahr sein, was der hl. Thomas von Aquin sagt, der hl. Josef habe von Gott die Macht erhalten, in allen Anliegen zu helfen.

"Einmal kommt doch, die Erlösung; durch Nacht zum Licht"; so hatte meine Schwester in einem Briefe geschrieben. Oft habe ich an diesen Satz gedacht. Und die Erlösung ist gekommen. Daß sie auf diesem Wege käme, hätte ich nicht gedacht. Es ging durch Nacht, oft durch tiefe Nacht. Und es kam wieder Licht.

11. In St. Josefs-Hospital in Bochum. Oben

Nun war ich wieder unter guten Menschen. Zuchthaus - Krankenhaus; Gefängnisaufseher - katholische Krankenschwestern; der Wechsel war zu groß und zu plötzlich, sodaß in den ersten Tagen mir alles vorkam wie ein Traum. Es erging mir so ähnlich, wie es in Ps 125,1 heißt: "Als einst der Herr die Knechtschaft Sions wandte, da war es uns, als träumten wir". Ich glaubte noch immer die Kommandos zu hören, das Gerassel der Schlüssel, das Zuschlagen der Zellentüren usw. Jede Nacht träumte ich vom Gefängnis oder Zuchthaus, und oft wußte ich nicht, wenn ich wach wurde, ob es Traum oder Wirklichkeit war. Endlich hörte ich wieder gute und freundliche Worte. Sie kamen mir vor, wie aus weiter Ferne gesprochen. Das gehört mit zum Schwersten im Leben der Gefangenen, daß sie nie ein freundliches Wort zu hören bekommen. Und doch hätten gerade sie ein gütiges Wort so nötig. Der edle Kolping hat Recht, wenn er schreibt: "Es gibt einen Schlüssel, mit dem man alle Herzen öffnen kann, die Güte. Darin besteht das große Geheimnis, Menschen zu gewinnen." "Das menschliche Herz versteht eben keine andere Sprache besser, als die der Güte". (Franz von Sales) Und wenn in den ersten Tagen andere gütig gegen mich waren, konnte ich nur mit Mühe mich der Tränen erwehren.

Engel, der Verfasser der bekannten Literaturgeschichte, hat in seinem Buch "Menschen und Dinge" ein Kapitel geschrieben, in dem er von "himmlischen Menschen" spricht. So nennt er die katholischen Krankenschwestern. Und diese Schwestern kamen mir vor wie himmlische Menschen". Das empfand ich um so mehr, als ich fast drei Jahre mit Sträflingen aller Art aus verschiedenen Nationen vielen brutalen Aufsehern zusammen war.

Unter der liebevollen Pflege der guten Vinzenzschwestern war nach etwa 6 Wochen das Aneurysma so weit zurückgegangen, das die Operation nicht mehr notwendig war. "Sie haben ein unerhörtes Glück, daß Sie noch am Leben sind, konnte ich wiederholt von Ärzten hören und der Chirurg, der mich behandelte, sagte: "Das war unter tausend Möglichkeiten der glücklichste Schuß". Ich nenne es nicht Glück; ich kann es nur Gottes Fügung neuen. "Der Herr beschützt das Leben seiner Diener, und wer auf ihn vertraut, wird nicht enttäuscht". Ps 33,22.

Schon bald konnte ich auf einer fahrbaren Tragbahre an der Andacht in der Krankenhauskapelle teilnehmen; es war im Maimonat, die erste Andacht nach, fast 3 Jahren. Nun konnte ich auch morgens oft in der hl. Messe sein. Die erste hl. Messe, an der ich teilnehmen konnte, war bei der Feier eines Priesterjubiläums. Als die Schwestern zum Beginn der Feier das Lied sangen: "Erde singe, daß es klinge", verlor ich die Fassung und kam ans weinen. Das Lied traf genau die Stimmung, in der ich war. "Ich kann es einfach nicht fassen", so schrieb ich über jene Tage in mein Tagebuch. Es waren seltsam schöne Tage. So ganz neu, so ganz persönlich erlebte ich aus den Vorbereitungsgebeten vor der hl. Messe die Worte: "Der Sperling hat für sich ein Heima gefunden; ein Nest die Turteltaube, worin sie Ihre Jungen birgt. So birgt mich dein Altar, o Herr der Himmelsheere, mein König und mein Gott. Glückselig alle, die in deinem Hause wohnen, Herr". (Ps 83, 3-5)

Es erging mir so ähnlich wie Fürst Dr. Batthyany (+1931), der am vorletzten Tag seines Lebens seinen Kindern sagte: "Traget mich auf den Balkon, damit ich es hinausrufe in die Welt, wie gut der liebe Gott ist, wie gut er gegen mich ist". Dank dir, lieber Vater im Himmel, dass du mich das alles hast erleben lassen; sonst hätte ich es nicht so tief erfahren, wie gut du bist! "Gott ist Vater, Gott ist gut; gut ist alles, was er tut".

Wie froh war ich, als ich nun wieder andere Kleider als Sträflingskleider anziehen konnte. Aber als ich aufstehen konnte, hatte ich keine Kleider zum Anziehen. Da kam mir meine Armut so ganz zum Bewußtsein, zumal ich keinen Pfennig Geld hatte. Die Kleider waren beim Tieffliegerangriff auf unsern Transportzug verbrannt. Daß ich so arm werden könnte, hätte ich nicht geglaubt. Ein Pater lieh mir einen Zivilanzug von seinem Bruder; Hut und Kragen konnte ich nicht bekommen. Gerne hätte ich meine priesterlichen Kleider getragen, aber ich mußte damit warten, bis ich wieder zu Hause war.

Die Armut habe ich auch in den 3 Jahren an mir erfahren. Als ich ins Zuchthaus in Werl kam, hatte ich als persönliches Eigentum in der Zelle: 1 Kamm, 1 Zahnbürste und 1 Brille. Der Kanm wurde mir- schon gleich am ersten Abend gestohlen; die Zahnbürste war am folgenden Tag verschwunden. Kamm und Zahnbürste bestanden aus Zelluloid; und gerade Zelluloid war sehr gesucht, weil es von den Gefangenen gebraucht wurde um sich Feuer für die Zigaretten zu beschaffen. Nun hatte ich noch meine Brille; auch die hätten sie mir von der Nase gestohlen, wenn es möglich gewesen wäre; die Brillenfassung war auch aus Zelluloid. Bei den Mißhandlungen 1945 haben sie mir die Brille heruntergerissen und fortgeworfen.

Die Fronleichnamsoktav brachte mir eine ganz besondere Freude. Nämlich am 4. Juni konnte ich nach, fast dreijähriger Unterbrechung wieder zum erstenmal die hl. Messe feiern. Das letzte Mal hatte ich sie am 23. Juni 1942 gehalten. Es war mir wie an meinem Primiztage. Zwar machten mir die Kniebeugungen, die Kopfbewegungen und die Lähmung des linken Armes Beschwerden; leichte Schwächen überkamen mich, daß ich fast aufhören mußte; aber die Freude, daß ich nun wieder als Priester am Altare stehen konnte, war stärker und überwand alles.

Wie oft hatte ich in den 3 Jahren den brennenden Wunsch, noch einmal die hl. Messe feiern zu können, wenn es auch das letzte Mal wäre. Manchmal stand es wie eine unheimliche, unabänderliche Tatsache vor mir, daß ich nie mehr in meinem Leben an den Altar treten, und das hl. Opfer feiern könnte. Bei diesem Gedanken wurde es mir wie dunkel vor den Augen; es war mir, als ob die Sonne für mich ausgelöscht wäre. Und nun sollte ich wieder Morgen für Morgen mein "Introibo ad altare Dei" beten können. Und das "Ego te absolvo", "Ego te baptizo" sollte ich bald auch wieder sprechen dürfen. Fürwahr: "Bis an den Himmel, Herr, reicht dein Erbarmen, und deine Treue reicht bis an die Wolken". (Ps 55,5)

Jetzt konnte ich auch wieder mein Brevier in die Hand nehmen; fast 3 Jahre durfte ich es nicht beten. Es kam mir vor wie neu geschenkt; es war für mich mit einem Mal ein "Thesaurus infinitus". "Psalterium meum, gaudium meum".

In diesen drei Jahren, in denen ich nicht als Priester tätig sein konnte, ist das Verständnis für das Amt und die Sendung des Priesters in mir gewachsen, und ich habe das Wort des hl. Ambrosius, das ich in der Predigt bei meiner Primiz gehört habe, tiefer erfaßt: "O Priester Gottes , laß getrost den langen Zug der Herrscher an dir vorüberschreiten; du stehst durch dein Amt als Priester über ihnen".

12. Entlassung; aus der Strafhart und Heimreise. Oben

Auf Befehl des englischen Kommandanten in Bochum bin ich am 6 Juni aus der Strafhaft entlassen worden. Bis dahin, galt ich als Strafgefangener, obwohl ich im Josef-Hospital war. (Anl 3). Nun war ich wieder ein freier Mensch, jetzt konnte ich den Bereich des Hospitals verlassen und mich draußen frei bewegen.

Seit September 44 hatte ich keine Verbindung mehr mit meinen Angehörigen. Sie wußten nicht, wo ich mich befand, und ob ich überhaupt noch am Leben war. Und so kam der Pfarrverwalter von Greimerath, Herr Pater Bück, mit wenig Hoffnung mich ins Ruhrgebiet suchen; er fand mich im St. Josefs—Hospital. Zusammen mit ihm trat ich am 13. Juni trotz ernster Bedenken von Seiten des behandelnden Arztes die Heimreise an. Ein Auto, gestellt von der englischen Kommandantur, brachte mich von Bochum bis ans Pfarrhaus in Gr. Die Leute sahen abends spät ein Auto durchs Dorf fahren, dachten aber nicht an mich; und so kam ich ganz unerwartet in Greimerath an.

Am folgenden Abend - 19. Juni - fand in der Pfarrei gleichsam eine neue Einführung statt. Und als ich in Prozession mit den vielen Meßdienern und weiß gekleideten Mädchen in die Kirche geführt wurde, da stand es ganz groß vor mir: "Jetzt bist du wieder Pastor in Greimerath; jetzt bist du wieder daheim". So froh und innerlich bewegt, habe ich noch kein Te Deum gesungen wie an diesem Abend. Zwar hatte ein Wachtmeister im Zuchthaus in Münster mir prophezeit "Wenn Sie Ihre Zuchthausstrafe herum haben, müssen Sie sich nach einem andern Berufe umsehen. Wir werden nicht dulden, daß Sie in Ihrer Gemeinde wieder auf die Kanzel gehen; wir haben die Macht dazu". An diese Worte mußte ich auf dem Wege zur Kirche denken.

Habt Dank, liebe Pfarrkinder von Greimerath, für euer Gebet. Euer Beten und Opfern, und besonders das "Gedenke o süße Jungfrau Maria", das ihr so treu 3 Jahre lang Tag für Tag in der Kirche gebetet habt, war nicht umsonst. Ohne euer Beten wäre ich nicht mehr zurückgekommen. Und daß ihr bei meiner ersten Verhaftung am 2. Febr. 42 ohne besondere Aufforderung geschlossen vom Pfarrhaus in die Kirche gegangen seid und den Rosenkranz gebetet habt, das war für mich ein Erlebnis. Während meiner Haftzeit habe ich oft daran gedacht, und es war für mich ein großer Trost zu wissen, daß ihr für mich betet. In den ersten Tagen hatte mir ein Gefangener, der nicht wußte, daß ich Priester war, gesagt: "Das mußt du wissen; hier hilft nur eines: beten; sonst hältst du es hier nicht aus". "Daheim beten meine Frau und meine Kinder jeden Abend den Rosenkranz für mich". Das Heilandswort: "Wahrlich ich sage euch: Ihr möget im Gebete begehren, was immer es sei, - glaubet nur, dass ihr es erhaltet, so wird es euch zuteil" (Marc.11,24) ist für euch und für mich Wirklichkeit geworden. Habt Dank auch ihr, liebe Confratres, und ihr, liebe Freunde, die ihr meiner im Gebete gedacht habt. In seinem Briefe an die Römer schreibt der hl. Paulus "Meine Brüder, ich bitte euch bei unserm Herrn Jesus Christus und bei der Liebe des hl. Geistes, steht mir durch eure Fürbitte bei Gott im Kampfe bei. (Röm. 15»30) Ihr habt mir durch eure Fürbitte im Kampfe beigestanden; ich stand im Kampf gegen brutale Gewalt und dunkle Mächte. Hier in den Zuchthäusern und Gefängnissen war die Anwendung von Exorzismen wirklich angebracht, besonders nachdem Himmler den Strafvollzug in Händen hatte. Oft konnte man hören, wie Gefangene einzelne Aufseher - nicht alle - als Untermenschen oder als besessen bezeichneten. Und wenn irgendwo, dann war es hier notwendig, daß die Priester, wenn sie auch in Sträflingskleidern waren, ihre Segensgewalt gebrauchten. Diese konnte ihnen nicht genommen und ihre Anwendung nicht unterbunden werden. Eine Bemerkung im Handbuch von Noldin wurde für mich aktuell: "Es ist sehr anzuraten, daß die Priester den einfachen Exorzismus öfter anwenden im Hinblick auf das Wort des Herrn: In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben".

Gegen alle Hoffnung konnte ich am 9. September 45 mein silbernes Priesterjubiläum in der Pfarrkirche in Greimerath feiern oder richtiger gesagt, nachholen. (Anl 4) Kirche und Pfarrhaus hatten durch den Krieg schwer gelitten; das konnte aber die Freude der Jubiläumsfeier nicht stören. Es war meine zweite Primiz. Was ich an meinem eigentlichen Jubiläumstage, am 20. März, im Gefängnis in Bochum unter Tränen betete: "Du verlassest keinen, der dich sucht" (Offert.) und "Befreie mich, Gott Israels, aus allen meinen Nöten". (Com.) ist buchstäblich wahr geworden. Das kam mir bei der Jubiläumsfeier am Altar so lebendig zum Bewußtsein, daß ich darüber erschrak. Die Worte vor der sumptio calicis in der hl. Messe hatten an diesem Tage für mich einen besondern Klang: "Wie könnte ich dem Herrn vergelten, was alles er an mir getan". Dieses „alles“ schließt soviel in sich, daß ich es selbst nicht weiß. Oft erschrecke ich, wenn mir jetzt blitzartig die Erinnerung an manche Situationen kommt, in denen ich gewesen bin. "Preise meine Seele den Herrn und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen. Preise meine Seele den Herrn; vergiß nicht, was er Gutes dir getan. Dein Leben hat er vom Untergang gerettet und dich gekrönt mit Gnade und Erbarmung. (Ps 102,1,2,4) Diese Psalmworte müßte ich eigentlich jeden Tag beten. Es ist dasselbe, was ein Arzt nach einer Untersuchung mir sagte: "Sie müßten jeden Morgen mit den Lerchen dem Herrn ein Loblied singen und dazu noch ein Te Deum beten dafür, daß Sie am Leben geblieben sind". "Das war nicht Glück; das ist Gnade".

Mit Schrecken denke ich oft daran, wie es anders hätte kommen können. Wenn ich mit dem Genickschuß tot liegen geblieben wäre, dann wäre ich als unbekannter Verbrecher verscharrt worden; vielleicht am Tatort, um das Mord zuzudecken. Vielleicht läge ich auf dem Friedhof in Bochum in einem Grabe ohne Namen. In meinen Strafakten würde für immer stehen: "Auf der Flucht erschossen", wie der Wachtmeister es gemeldet hatte. Auch in meinen Personalakten bei der Bischöflichen Behörde wäre eingetragen worden: "Auf der Flucht erschossen". Und man hätte es geglaubt. Mancher würde wohl mit einem Schein von Bedauern gesagt haben: "Er ist es ja selbst schuld... Der Wachtmeister hat schließlich nur seine Pflicht getan"... Oder wenn ich, wie die Gestapo es mir bei meiner Verhaftung angedroht hatte, zunächst ins K Z gekommen und mein Prozeß vor dem Volksgericht ein Jahr später stattgefunden hätte, dann hätte man mich bestimmt wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, und ich wäre wie so viele andere gehängt worden.

Wie oft quälte mich der Gedanke, in Sträflingskleidern irgendwo sterben zu müssen, anstatt in den priesterlichen Gewändern mit dem violetten Meßgewand auf dem Totenbett zu liegen. Und ebenso oft gingen die Gedanken auf den Friedhof meiner Pfarrei, wo ich neben dem Grab meiner Eltern meinen Begräbnisplatz im Schatten des Friedhofskreuzes bestimmt hatte. Oft habe ich mir gewünscht, im Grabe dort zu ruhen.

In der ersten Zeit habe ich es oft bedauert, daß ich nicht gestorben bin. Damals war ich innerlich losgelöst von allem und bereit zu sterben. Ich hatte Buße getan, oft genug vollkommene Reue erweckt und war vorbereitet auf den Tod. Mit "Bruder Tod" war ich ganz vertraut und habe ihn ebenso wenig gefürchtet wie einen guten Freund. Mehr als einmal habe ich ihn erwartet und war enttäuscht, daß er nicht zu mir kam. Und heute? Heute möcht ich nicht mehr sterben; heute möchte ich l e b e n . So unbeständig ist der Mensch; "omnis Homo mendax". (Ps 115,2) Dieses Gefühl der Nähe von "Bruder Tod" habe ich noch nicht verloren; manchmal streift er an mir vorbei; ein leises Erschrecken, und dann ist es vorüber.

Es ist mein einziger Wunsch, daß ich noch viele Jahre in der Seelsorge arbeiten und so etwas von der übergroßen Dankesschuld an Gott und den hl. Josef abtragen kann. Es könnte so sein, wie mir mehrmals von hoher Stelle gesagt worden ist: "Der Herrgott will Sie noch in seinem Dienste haben, sonst hätte er Sie nicht so wunderbar am Leben erhalten". Und wenn die Seelsorgsarbeit mir manchmal schwer werden will, denke ich an das Pauluswort: "Ich kann alles in dem, der mich stärkt". (Phil.4,13) Dieses Wort ist mir zum Erlebnis und zur beglückenden Gewißheit geworden. Ich habe seine Wahrheit unzählige Male erfahren.

In meinen Briefen aus dem Zuchthaus hieß der letzte Satz gewöhnlich: "Mit frohem Mut und grenzenlosem Gottvertrauen geht es weiter". Das war in den drei Jahren - auch in den dunkelsten Stunden - meine innere Einstellung. Und es war richtig so. Auch meine Zellengenossen bekamen von dieser Einstellung etwas mit. Wenn sie ganz niedergedrückt waren, leitete ich das Gespräch unbemerkt auf religiöse Dinge, und am Ende waren sie in einer andern Stimmung und hatten wieder neuen Mut. Und je mehr es mit dem 3.Reich dem Ende zuging, desto vorsichtiger mußte man in den Gesprächen sein. Auch in den Zellen gab es Spitzel der Gestapo. Manchmal wurden sie absichtlich hineingebracht, um "Saboteure" herauszufinden.

"Mit frohem Mut und grenzenlosen Gottvertrauen" bleibt auch meine Einstellung für die Zukunft.

13. Bibel und Meßbuch. Oben

Zu dem Schönsten und Wertvollsten, was mir die drei Jahre innerlich gegeben haben, gehört das neue Verständnis für das Wort Gottes, besonders für die Psalmen. Betend und sinnend konnte ich in der Einsamkeit der Zelle dem Worte Gottes nachgehen. Viele Psalmen kann man nur verstehen, wenn man in einer ähnlichen Lage, in einer ähnlichen Not, wie der Verfasser gewesen ist. Dann werden sie einem zur Offenbarung; dann wird es einem auch leicht, die Psalmen zu seinem persönlichen Gebet zu machen; dann wird das Brevierbeten zur Feierstunde. Die Psalmen sind wirklich eine Schule, in der man das Gottvertrauen lernt. Und was brauchen die Menschen heute notwendiger? "Wer auf den Herrn vertraut, ist wie der Sionsberg, der nimmer wankt, der ewig steht". (Ps 124,1) Ich habe es erlebt, wie wahr das Wort ist, das im A T steht: "Gleichwie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und dorthin nicht zurückkehrt, ohne daß er die Erde getränkt und befruchtet hat, sie sprossen läßt und Saat zum Säen und Brot zum Essen gibt, so ist's mit meinem Wort, das aus meinem Mund hervorgeht; es kehrt nicht leer zurück zu mir, ohne daß es vollbracht hat, was ich wollte, und ausgeführt hat, wozu ich es gesandt". (Is.55,10) Ich habe es eingesehen und erfahren, daß das Wort Gottes immer und unter allen Umständen in Erfüllung geht. "Das Wort des Herrn ist wahr". (Ps 118,160) "Lebendig ist Gottes Wort und voll Kraft und schärfer als jedes doppelt geschärftes Schwert". (Hebr.4,12) Darum habe ich in meinem Jubiläumsandenken zu meinem 25 jähr Priesterjubiläum geschrieben: "Immer wieder ist das Wort Gottes - besonders die Psalmen - während dieser 3 Jahre im Zuchthaus mit seinen vielen schweren Stunden für mich Trost und Stärke gewesen; es ist mein Wunsch, daß das Wort Gottes auch für Euch in dieser schweren Zeit mit all ihren Nöten und Sorgen Trost und Stärke und Wegweiser sein möge. Darum sollen Bibel und Meßbuch Eure liebsten Bücher sein; nehmt sie jeden Tag in die Hand; sie geben Euch Gottes Wort." (Anl 4) Und ihr werdet es auch erfahren, die hl. Schrift ist ein Buch "höchster Lebensweisheit". "Wenn es etwas gibt, was den Weisen in diesem Leben hält und ihn in den Bedrängnissen und Wirren der Welt den Gleichmut bewahren läßt, dann ist es in erster Linie die Betrachtung und Kenntnis der hl. Schrift" (Worte des hl. Hieronymus)

Bibel und Meßbuch hatte ich an jenem Gründonnerstagabend auf meinen letzten Gang, wenn ich so sagen darf, bei mir. Es war keine gedruckte Bibel; es waren einzelne Zettel, auf die ich mir Sätze aus der Bibel, besonders aus den Psalmen, aufgeschrieben hatte. Ich ließ mir in meinen Briefen, die ich alle 6 Wochen von Hause bekam, jedesmal Sätze und Verse aus der Bibel, die mir Hilfe und Trost sein konnten, schreiben. Diese Sätze habe ich mir dann auf besondere Zettel geschrieben. Auch fand ich ab und zu bei Aufräumungsarbeiten oder unter Packpapier einige Blätter aus einer Bibel; die legte ich zu den Zetteln. Das war nun meine Bibel, die mir ebenso lieb und wertvoll war, wie eine schöne Bibelausgabe. Diese "geschriebene Bibel" lag in einem Schott-Meßbuch, das ich in meiner Decke versteckt hatte. Eine Decke mußten wir mit auf Transport nehmen. Und es traf sich so, daß ich mit dem Kopf auf der Decke mit dem Meßbuch lag, als ich nach dem Schuß zusammenbrach. Als ich das Bewußtsein wiedererlangt hatte, dachte ich auch an das Meßbuch. Ich hatte in der Decke noch 3 Stück Brot, die bedeuteten für mich ein kleines Vermögen; aber an das Brot dachte ich nicht; nur ans Meßbuch. Ich hätte es so gerne mitgenommen, da ich ganz mit ihm verwachsen war; es war für mich in den letzten schweren Wochen Bibel und Meßbuch und Gebetbuch in einem; es war für mich kurz gesagt: D a s  B u c h. Aber es war mir unmöglich es mitzunehmen. Der linke Arm war mir durch den Schuß vollständig gelähmt; mit der rechten Hand drückte ich die Halsbinde auf die Wunde, um das Bluten etwas aufzuhalten. Ich konnte mich auch nicht bücken, um die Decke aufzuheben; ich habe es wohl versucht. Dazu war es mir todschlecht, und bei jeder Bewegung wurde es mir noch schlechter, und so mußte ich schweren Herzens das Meßbuch liegen lassen. In diesem Augenblick ist mir das Meßbuch zu einem ungeheuren Wert geworden. Noch einmal wollte ich umkehren, um das Meßbuch doch mitzunehmen; aber ich hatte nicht mehr die Kraft dazu. Bibel und Meßbuch werden mir durch dieses Erlebnis die liebsten Bücher bleiben. Und ich will den Gedanken, den Vandeur in seinem Buch "Der Priester bei der hl. Messe" ausspricht, zu verwirklichen suchen: "Priester, lebe vom Meßbuch, welches das Schönste vom Evangelium enthält; welcher Katechismus gleicht ihm? (S. 46) "Es gibt ein Buch, das so recht das goldene Buch des Priester- und Christenlebens ist - das Meßbuch -; es soll dem Priester und den Gläubigen gehören", (Ebenda S. 37)

14. Nachwort. Oben

Es war ein weiter und schwerer Weg vom Tag meiner Verhaftung am 23. Juni 1942 bis zum Tag meiner Heimkehr am 13. Juni 1945. Gar manchmal, besonders in der ersten Zeit, stand vor mir die Frage: "Warum mußt du das alles erleben"? Heute weiß ich, ich  m u ß t e  diesen Weg gehen; so war es für mich bestimmt. "Was geschieht, ist längst im voraus bestimmt; was aus einem Menscher wird, das steht fest". (Pred. 6,10)

Manchmal ist es mir so, als ob ich das alles nicht selbst erlebt hätte; es kommt mir bisweilen vor wie ein Traum; es war wahrhaftig kein Traum.

Im Psalm 90, den ich so oft gebetet, den ich erlebt habe, heißt es: "Auf mich hat er vertraut, ich rette ihn; ich schirme ihn, weil er mich kennt". Diese Worte sind an mir wahr geworden. Möge auch der Schlußvers dieses Psalmes wahr werden: "Ich will ihn sättigen mit langem Leben und Ihn schauen lassen mein Heil". Lange habe ich mich gesträubt, dieses alles niederzuschreiben. Aber die große Dankesschuld, die ich Gott gegenüber habe, drängte mich dazu. Das "Gratias agamus Domino Deo nostro" in der Präfation der hl. Messe erinnerte mich, jeden Tag an diese Dankesschuld. Nun fühle ich mich erleichtert. Ich habe es niedergeschrieben zur Ehre Gottes und zur Ehre des hl. Josef, "Ich schulde dir, o Gott, Gelübde; voll Dank will ich sie dir entrichten. Denn meine Seele hast du dem Tod entrissen, hast meine Füße vor dem Fall bewahrt, daß ich vor Gott nun wieder wandeln darf im Lichte der Lebendigen". (Ps 55,15) Aus tiefstem Herzen muß ich sprechen: "Ich danke dir, daß du mich hast erhört und mir zum Retter wurdest". (Ps 117,29)

Und noch weiter muß mein Dank gehen. Kreuser schreibt in seinem Büchlein "Gott und Wahrheit": "Jedes Erlebnis sei uns eine Offenbarung Gottes". Dieses große Erlebnis der drei Zuchthausjahre ist für mich wirklich zu einer großen Offenbarung Gottes geworden. Ich bin GOTT begegnet. "So will ich mein Leben lang dir lobsingen, zu deines Namens Lob erheben meine Hände". (Ps 88,51)

Der hl. Chrysosthomus, der große Bekennerbischof, war seit Jahren in der Verbannung; bittere Stunden hatte er durchlebt. Nun war er als Gefangener auf Transport in den Kaukasus. Vor den Toren der Stadt K o m a n a brach er vor Erschöpfung auf der Straße zusammen und starb. Sein letztes Wort war: "Gott sei gelobt für alles".

So möchte ich auch sprechen, wenn ich auf diese drei Jahrs zurückschaue:

" GOTT SEI GELOBT
FÜR ALLES ".


Während ich in St.Josef-Hospital in Bochum lag, tat der Wachtmeister Br., der mir den Schuß ins Genick gegeben hatte, seinen Dienst im Gefängnis in Bochum weiter, als ob nichts geschehen wäre. Inzwischen hatte der englische Geheimdienst von meinen Fall erfahren. Er ordnete an, daß Br. in Haft genommen und von einem englischen Militärgericht abgeurteilt werde. Es fand sich aber ein ehemaliger Gefangener, der zugunsten Br. falsche Aussagen machte; daraufhin wurde Br. wieder freigelassen.

Im Jahre 1946 griff der Staatsanwalt in Bochum die Sache wieder von neuen auf. Nach Abschluß der Untersuchung -wurden die Akten von der Staatsanwaltschaft ans englische -Militärgericht weitergegeben. Als der Fall zur Verhandlung kommen sollte, waren die Akten verschwunden; gleichzeitig war aus dem Gefängnislazarett Bochum auch das Krankenblatt über meine Behandlung nach der Schußverletzung im Gefängnislazarett verschwunden. Daher kam es zu keiner Gerichtsverhandlung. Br. machte im Gefängnis seinen Dienst weiter und wurde zum Oberwachtmeister befördert.

Im Jahre 1948 wurde von der Staatsanwaltschaft in Bochum der Fall wieder aufgegriffen und das Ermittlungsverfahren gegen Br. eingeleitet. Am 23. Febr. 1949 wurde ich im Polizeipräsidium in Bochum in Gegenwart des Staatsanwaltes dem Täter Br. gegenübergestellt; auch wurde eine Besichtigung des Geländes, wo der Schuß auf mich abgegeben wurde, vorgenommen. Der Staatsanwalt glaubte, Br. werde bei der unerwarteten Gegenüberstellung die Tat eingestehen; aber Br. leugnete. Er gab nur zu, er habe "auf der Flucht aus einer Entfernung von 25 — 30 m auf mich geschossen und mich zufällig im Genick getroffen. (In der Hauptverhandlung gab er eine andere Darstellung, die in ihren Einzelheiten voller Widersprüche war.) Da der Staatsanwalt aufgrund meiner Aussagen und der von ihm angestellten, bis ins Kleinste gehenden Ermittlungen von der Schuld Br. überzeugt war, ordnete er seine sofortige Verhaftung an. Br., der aus dem Dienst herausgeholt worden war, mußte seine Achselstücke ablegen, seine Uniform ausziehen und die Schlüssel sei zu den Gefängniszellen abgeben; dann wurde er ins Polizeigefängnis abgeführt. Es tat mir leid um ihn, als ich das mitansehen mußte.

Ausdrücklich sei hier bemerkt, daß ich trotz mehrfacher Aufforderung von selten der V V N und anderer Stellen - auch durch eingeschriebene Briefe - keine Anzeige gegen Br. gemacht habe. Ich hatte ja, unmittelbar ehe er den Schuß auf mich abgab gesagt "Ich verzeihe Ihnen".

Die Hauptverhandlung fand am 18. Mai 1949 vor dem grossen Schwurgericht in Bochum statt. Vorsitzender war Landgerichtsdirektor Scherpensel; Staatsaawalt Schnitt vertrat die Anklage.

Es waren 15 Zeugen geladen: 2 Ärzte, 2 Pfarrer, 2 0rdensschwestern, 4 ehemalige Mitgefangene, 5 Gefängnisbeamte, 1 Bademeister und 1 Kriminalbeamter. Ich selbst war der Hauptzeuge und wurde als einziger vereidigt. 3 Zeugen konnten nicht erscheinen. Während der Verhandlung wurden noch 2 Zeugen von der Arbeitsstelle mit dem Auto herangeholt.

Br. wurde "wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu 6 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust verurteilt.

Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer ganz besonders hervorgehoben, daß die Tat auf "heimtückische und bestialische Weise“ erfolgt sei, und hatte unter Berücksichtigung mildernder Umstände 8 Jahre Zuchthaus beantragt.

Wie ich später erfahren habe, hatte Br. beim Oberlandesgericht Hamm / Westf. gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung verworfen.

Nach der Verhandlung ereignete sich im Gerichtssaal noch ein Zwischenfall. Das Gericht hatte sich zurückgezogen; die Zuhörer verließen den Saal. Ich stand bei einem Zeitungsberichterstatter, der verschiedene Fragen von mir beantwortet haben wollte. Ich bemerkte hinter meinem Rücken eine Unruhe, achtete aber nicht daran. Aufgeregt kommt ein Aufsichtsbeamter und sagt: "Herr Pfarrer verlassen Sie sofort den Saal; es wird gefährlich für Sie". Ich verstand ihn nicht gleich und sprach mit dem Berichtserstafter noch weiter. Da kommt der Beamte nochmals, zieht mich am Arm und sagt: "Kommen Sie schnell, ich zeige ihnen eine Nebentür". Der Bruder des Verurteilten wollte mich nämlich von hinten niederschlagen; aber seine Begleiter hielten ihn fest, und der Beamte war dazwischen gesprungen. Ich verließ das Gebäude durch einen Nebenausgang. Hoffentlich braucht später kein Kapitel geschrieben zu werden, wie der Täter nach Verbüßung seiner Zuchthausstrafe an mir Rache genommen hat.

15. Nachspiel:  Oben

Bestätigung des Urteils von Schwurgericht in Bochum durch das kriminaltechnische Institut beim Kriminalpolizeiamt für die britische Zone in Hamburg

Das Urteil des Schwurgerichtes sollte einige Wochen später durch das kriminaltechnische Institut für die britische Zone eine auffallende Bestätigung erfahren.

Als ich im Gefängnislazarett in Bochum wieder aufstehen konnte, bemerkte ich in meiner Sträflingsjacke auf der Rückseite oben am Kragen ein Loch. Es war die Einschußstelle. Ich lieferte die Jacke nicht mit den andern Gefängniskleidern ab, sondern behielt sie als "Andenken". Ich dachte aber nicht daran, daß die Jacke für mich ein wichtiges Beweisstück werden könnte.

Nachdem ich bei der Schwurgerichtsverhandlung gesehen hatte, wie Br. so hartnäckig leugnete und log, kam mir wieder die Erinnerung an meine Sträflingsjacke, die ich inzwischen ganz vergessen hatte. Ich übergab sie der Kriminalpolizei in Trier mit der Bitte, die Einschussstelle näher zu untersuchen; vielleicht könnte daraus ein Anhaltspunkt für die Beurteilung des Schusses gewonnen werden. Die Kriminalpolizei sandte die Jacke an das kriminaltechnische Institut beim Kriminalpolizeiamt für die britische Zone in Hamburg. Das Untersuchungsergebnis lautet: "Die Jacke wurde in der Umgebung des Einschußloches abgebürstet, der so gewonnene Staub chemisch mit der Diphenylamin-Schwefelsäureaktion und mikroskopisch untersucht. Hierbei konnten einwandfrei unverbrannte Pulverreste festgestellt werden, wogegen die gleichartige Kontrolluntersuchung anderer Stellen der Stoffoberfläche negativ verlief. Das Einschußloch muß somit von einem Schuß herrühren, der aus höchstens 40 cm Entfernung abgegeben wurde, also einem Nahschuß.

Bei Abgabe des Schusses auf eine aufrecht gehende Person aus einer Entfernung von 25 - 30 m hätte der Schußkanal annähernd horizontal verlaufen müssen, beim Schuß auf eine vor dem Täter fliehende Person wegen der möglichen vorgebeugten Haltung sogar schräg von unten nach oben.

Der angegebene Verlauf des Schußkanals im Körper des Verletzten schräg von oben nach unten- läßt dagegen auf Nahschuß schließen. Das Aufhängebändchen an der Innenseite der Jacke ist vom Geschoß an der oberen Kante durchbohrt. Zur Untersuchung des Fleckens an dieser Stelle wurde von uns etwas Stoff abgeschnitten. Auf Grund des positiven Ausfalles der Benzidinvorprobe und der mikroskopischen Untersuchung konnte Blut nachgewiesen werden. Die serologische Blutartbestimmung nach der Eiweißfällungsmethode von Uhlenhudt ergab dann einwandfrei, daß es sich um Menschenblut handelt" (Schreiben des kriminaltechnischen Instituts in Hamburg vom 4. Juni 1949.)

Somit ist also durch das Gutachten die Aussage des Angeklagten, er habe den Schuß "auf der Flucht" aus einer Entfernung von etwa 25 - 30 m abgegeben, als völlig falsch erwiesen; dagegen meine Aussage, der Wachtmeister Br. habe unmittelbar hinter mir stehend den Schuß ins Genick gegeben, ist voll und ganz bestätigt worden.

Ich habe eine Abschrift der Untersuchung vom kriminaltechnischen Institut der Staatsanwaltschaft in Bochum zugesandt. Sie hat es weitergegeben an die Richter, die an der Schwurgerichtsverhandlung teilgenommen hatten. Der Staatsanwalt hat dafür seinen Dank ausgesprochen und mit Genugtuung festgestellt, daß das Urteil des Schwurgerichtes dadurch, eine unerwartete und totale Bestätigung gefunden habe.

Anlage 1 Programm der Nationalen Reichskirche Deutschlands. Oben

1. Die Nationale Reichskirche Deutschlands (künftig N.R.) beansprucht mit aller Deutlichkeit das alleinige Recht und die alleinige Macht über alle innerhalb der deutschen Reichsgrenzen befindlichen Kirchen. Sie erklärt diese zu nationalen Reichskirchen Deutschlands.

2. Das deutsche Volk hat nicht der N.R. zu dienen, sondern die II.R dient ausschließlich und allein der Doktrin: Rasse und Volk.

3. Das Arbeits- und Tätigkeitsgebiet der N.R. wird abgesteckt durch die Reichs- und Kolonialgrenzen Deutschlands.

4. Die N.R. zwingt keinen deutschen Menschen, sich ihr anzuschließen. Sie ist aber bereit, alles in ihrer Kraft Stehende zu tun, um auch die letzte deutsche Seele zu erfassen. Andere Kirchen und kirchenähnliche Einrichtungen und Verbände, zumal solche, die international gebunden oder regiert werden, kann und wird sie in Deutschland nicht dulden.

5. Die N.R. ist entschlossen, unabänderlich und mit allen Mitteln die notwendig sind, dem im Unglücksjahre.... in Deutschland importierten art- und wesensfremden christlichen Glauben auszurotten

6. An den bestehenden Kirchen darf keine grundlegende Bauveränderung vorgenommen werden, denn sie stellen deutsches Volksgut, deutsche Kultur und einen Teil des historischen Werdeganges unseres Volkes dar. Sie sind als deutsches Volksgut nicht nur zu werten, sondern auch zu erhalten.

7. In der N.R. gibt es keine Schriftgelehrten, Pastoren, Kapläne, geistliche, sondern in ihr haben nationale Volksredner zu sprechen.

8. Die N.R.-Feiern finden nur abends und nicht des Morgens statt, und zwar sonnabends bei festlicher Beleuchtung.

9. In der N.R. sollen sich deutsche Männer, Frauen, Deutsche Jungen und Mädel zu Gott und seinen unvergänglichen Werken einmütig bekennen.

10. Die N.R. erstrebt unverrückbar ihre unausbleibliche Verschmelzung mit dem Staat. Sie hat diesem als dienendes Glied sich unterzuordnen. Auf grund dessen fordert die N.R. die sofortige Abgabe sämtlichen Territorialbesitzes aller Kirchen und Konfessionen an der Staat. Sie verbietet auch, daß künftig Kirchen sich die kleinste Fläche deutscher Erde aneignen, oder daß solche ihr wieder abgegeben werde. Denn nicht die Kirchen erobern und bebauen Grund und Boden, sondern ausschließlich das deutsche Volk, der Staat.

11. N.R.-Redner dürfen niemals diejenigen werden, die heute mit aller List und Tücke in Wort und Schrift die unbedingte Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der christlichen Lehre in Deutschland betonen, denn sie belügen nicht nur sich selbst, sondern auch das deutsche Volk, und zwar um ihrer Stellung und des süßen Brotes willen.

12. Die N.R.-Redner amtieren als deutsche Staatsbeamte nach dem Staatsbeamtengesetz

13. Die N.R. fordert die sofortige Einstellung des weiteren Druckes und Verbreitung der Bibel innerhalb Deutschlands, sowie weiteres Erscheinen von Sonntagsblättern, Schriften, Lektüren, Büchern kirchlichen Inhaltes.

14. Die N.R. hat mit aller Strenge darüber zu wachen, daß die Importierung der Bibel und christlicher Religionsschriften nach Deutschland unmöglich wird.

15. Die N.R. erklärt als ihr und somit des deutschen Volkes größtes Dokument das Buch des Führers: "Mein Kampf“. Sie ist sich dabei bewußt, daß in diesem Buche nicht nur die größte, sondern vielmehr die reinste und wahre Ethik für das gegenwärtige und zukünftige Leben unseres Volkes verkörpert wird.

16. Die N.R.. hat sich unbeirrbar die Aufgabe gestellt, ihre ganze Kraft darein zu setzen, das Buch "Mein Kampf" volkstümlich zu machen und jedem Deutschen mit und nach diesem Buche sein Leben führen und vollenden zu lassen.

17. Die N.R. fordert, daß die Seitenzahl und der Inhalt des Buches, in welcher Form es auch erscheinen mag, auch in Zukunft mit der bisher erschienenen Volksausgabe übereinstimmen.

18. Die N.R. räumt von ihren Altären: das Kruzifix, die Bibel, sämtliche Heiligenbilder.

19. Auf den Altären der N.R. ist dem Deutschen Volke und somit Gott unser allerheiligstes Buch "Mein Kampf" und diesem zur Linken das Schwert zu weihen.

20. Die N.R.-Redner haben nach bestem Wissen und Können während der N.R.-Feiern dieses Buch zu erklären.

21. In der N.R. gibt es keine Vergebung der Sünden. Sie vertritt dabei den Standpunkt und wird diesen immer bekennen, daß einmal im Leben begangene Sünden unerbittlich gerächt werden, und zwar durch die ehernen und unumstößlichen Gesetze der Natur, und zwar auf dieser Welt.

22. In der N.R. verwirft die Taufe der Deutschen Kinder, zumal die mit Wasser und dem hl. Geiste.

23. die Eltern eines deutschen Kindes (eines neugeborenen Kindes) haben vor dem Altar das Deutschlandgelöbnis abzulegen. Es hat folgenden Wortlaut:

Der Mann: "Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich N.N. der Vater dieses Kindes, und mein Weib nachweislich arischer Abstammung sind. Als Vater gelobe ich, dieses Kind in deutschem Geiste hin zum deutschen Volke zu erziehen.

Die Frau: "Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich N. N. meinem Manne ein Kind geboren habe, und daß mein Mann der Vater dieses Kindes ist, und daß ich, die Mutter, nachweislich arischer Abstammung bin. Als Mutter gelobe ich, dieses Kind in deutschem Geiste hin zum deutschen Volk zu erziehen".

Nur auf Grund des Deutschgelöbnisses darf und muß für den neuen Staatsbürger der Deutschlandspaß ausgestellt werden.

24. Die N.R. hebt die Konfirmation und den Konfirmationsunterricht sowie Kommunion und Kommunionunterricht auf, die Erziehungsstätten sind und bleiben die Familie, die Schule, das deutsche Jungvolk (HJ und BDM)

25. Um dem Schulabschluß unserer deutschen Jugend einen ganz besonders feierlichen Charakter zu geben, sind alle N.R. am Staatsjugendfeiertag, der auf den Freitag vor Ostern zu legen ist, dem Jungvolk, der Jungmädelschaft, der HJ und BDM zur Verfügung zu stellen. An diesem Tage haben ausschließlich und allein nur Lehrer dieser Organisation zu sprechen.

26. Die Trauung deutscher Männer und Frauen erfolgt unter Ablegung des Treuschwures bei gleichzeitigem Berühren des Schwertes mit der Rechten. In der N.R. darf keine Handlung in unwürdigem Knien vollzogen werden.

27. Den 10. Tag vor Pfingsten bestimmt die N.3. zum Feiertag der deutschen Familie.

28. Die N.R. lehnt den landesüblichen Büß- und Bettag ab. Sie verlangt, auf ihn den Feiertag der Grundsteinlegung der N.R. zu legen.

29. Die N.R. duldet keinesfalls die Schaffung eines neuen Zeichens religiöser Art.

30. Mit dem Tag der Gründung ist von allen Kirchen, Domen, Kapellen innerhalb des Reiches und der Kolonialgrenzen das Christuskreuz zu entfernen und durch das einzige unbesiegbare Symbol, Deutschlands, das Hakenkreuz, zu ersetzen.

Anlage 2. Oben

Abschrift

8 J 223 / 42.g
1 H 235 / 42

IM NAMEN D3S DEUTSCHES VOLKES
in der Strafsache gegen

1.) Theologiestudenten Josef Keilen aus Trier, geboren am 2.November 1916 in Dahl, Bezirk Wiltz (Luxemburg)
2.) den Pfarrer Josef R e u l a n d aus Greimerath, Kreis Saarburg (Rheinprovinz), geboren am 26.April 1892 in Kreuzweiler, Kreis Saarburg,

3.) den Theologiestudenten Josef H a n s en aus Trier, geboren am 24.Dezember 1918 in Müllendorf, Bezirk Esch-Alzig (Luxemburg),

sämtlich, zur Zeit in dieser Sache in gerichtlicher Untersuchungshaft, wegen Vorbereitung zum Hochverrat u. a.
hat der Volksgerichtshof, 1. Senat, auf Grund der Hauptverhandlung vom 23. November 1942, an welcher teilgenommen haben als Richter:

Präsident des Volksgerichtshofes Dr. Freisler, Vorsitzender, Landgerichtsdirektor Stier,
SA-Brigadeführer Liebel
SA-Gruppenführer Aumüller,
Oberreichsleiter Bodinus
als Vertreter des Oberreichsanwaltes
Erster Staatsanwalt Dr. Drullmann,
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle: Justizobersekretär Peltz,
für Recht erkannt:

Die Angeklagten R e u l a n d und K e i l e n haben im Kriege unwahre hetzerische Behauptungen über Religionsfeindschaft des Nationalsozialismus verbreitet, dadurch Zwietracht im kämpfenden deutschen Volk gesät und so den Feind des Reiches begünstigt. Weil ihre Tat dem Reich keinen großen Nachteil zufügen konnte, werden sie jeder lediglich mit 7 Jahren Zuchthaus bestraft.

Die bürgerlichen Ehrenrechte haben sie für 7 Jahre verwirkt.

Die Untersuchungs- und Polizeihaft wird ihnen ganz auf die Strafe angerechnet.

Dem Angeklagten Hansen ist nicht nachgewiesen, daß er solche Behauptungen böslich weitergegeben hat. Er wird deshalb freigesprochen.

Die Angeklagten R e u l a n d und K e i l en tragen die Kosten des Verfahrens, die nicht durch die Untersuchung gegen Hansen entstanden sind.

Von Rechts wegen.

Die Richtigkeit der vorstehenden Abschrift wird beglaubigt und die Vollstreckbarkeit des Urteils bescheinigt.

Berlin, den 24-. November 1942

gez. Thiele, Amtsrat
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

Beglaubigt:
(Siegel) gez. Unterschrift, Sekretär
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

Für die Richtigkeit der Abschrift:
W e r l , den 25. Juni 1946
gez. Unterschrift
Verwaltungsangestellter

 

Anlage 3:  Oben

Zellenkarte aus dem Zuchthaus in W e r l.

Name:
R e u l a n d Josef

wegen Vorbereitung zum Hochverrat,
Zersetzung des Volkes,
Begünstigung des Feindes.

Tag des Eintritts in das hiesige Zuchthaus

10. Dezember 1942

7 Jahre Zuchthaus abzüglich Untersuchungshaft
vom 23. 11. 1942 bis 22. 6. 1949 18.00 Uhr.

_________________________________________________

Zellenkarte aus dem Zuchthaus in Münster

Name:
Re u l a n d Josef

wegen unwahren Behauptungen

Tag des Eintritts in das hiesige Zuchthaus

10. 9. 1943

Strafdauer:
7 Jahre Zuchthaus abzüglich Untersuchungshaft

vom 23. 11. 1942
bis 22. 6. 1949 18:00 Uhr

 

Anlage 4: Oben

Befehl zur Entlassung aus dem Gefängnis.

Military Governement
Det 921 (Brit)

Bochum, Germany
Dathe 6 th of June 45
921 M G

Tho the Prison-Governor
Mr. Ungelenk

Herewith we inform you that Mr. Josef Reuland, arrested the 25. 6. 42 at Greimerath, being in St. Josefs-Hospital since the 25. 4. 45, has been released to-day.

(Unterschrift) Capt. P.S.O.

Übersetzung

Hiermit teilen wir Ihnen mit, daß Herr Josef Reuland, verhaftet am 25. 6. 42 In Greimerath, seit dem 25. 4. 45 im St. Josefs-Hospital, ab heute entlassen ist.

(Unterschrift) Capt. P.S.O.

Oben